Kirchheim

Ein „Lindwurm“ radelt um den Ring

Aktion Über 150 Radfahrer demonstrieren in Kirchheim für die Verkehrswende. Für den Umstieg vom motorisierten auf den muskelkraftbewegten Verkehr treten sie in die Pedale – künftig einmal pro Monat. Von Andreas Volz

Die „kritische Masse“ strampelte eine Stunde lang um den Kirchheimer Alleenring. Start war vor der Stadtbücherei (Bild unten).Fo
Die „kritische Masse“ strampelte eine Stunde lang um den Kirchheimer Alleenring. Start war vor der Stadtbücherei (Bild unten).Fotos: Carsten Riedl

Die „kritische Masse“ war schnell erreicht: Nach der Straßenverkehrsordnung liegt sie bei 15 Radfahrern. Sobald diese Zahl überschritten ist - also ab dem 16. Radler - können die Pedaltreter einen „Verband“ bilden. Was das bedeutet, erklärte Bernd Cremer vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club den Teilnehmern des ersten Kirchheimer „Critical Mass“-Radelns: „Unser Verband ist dann vergleichbar mit einem Schwerlaster. Wenn der mit dem Führerhaus bei Grün über die Ampel fährt, darf auch der Rest noch drüberfahren.“

In der Praxis gibt es aber doch gravierende Unterschiede zwischen einem Lastwagen und rund 150 Radfahrern, die auf dem Kirchheimer Alleenring unterwegs sind: Rein rechnerisch ergibt sich für den Kirchheimer Zweirad-Zug eine Länge von 280 Metern. Das schafft selbst der längste Laster nicht, auch nicht annäherungsweise. Bei einer solchen Länge würde er keine Kurve mehr kriegen.

Ein weiterer Unterschied: Vom Führungsduo bis zum „Schlusslicht“ brauchte der radelnde Lindwurm ungefähr zwei Minuten, bis er eine beliebige Stelle auf dem Alleenring passiert hatte - also auch eine der zahlreichen Ampeln auf dem Rundkurs. Und das macht keine Ampelphase mit. Insofern verlangten die „kritischen“ Radler anderen Verkehrsteilnehmern einiges an Geduld ab.

Genau das ist aber das besondere Anliegen dieser Veranstaltung, die das Prinzip des Flashmobs aufgreift: Scheinbar zufällig versammeln sich möglichst viele Leute, die alle spontan dasselbe zu machen scheinen - in diesem Fall eben um den Alleenring strampeln. Das ist Werbung für die Fortbewegung durch Muskelkraft, allenfalls unterstützt durch die Kräfte der Mechanik. Auch bei der Mechanik spielt die „Masse“ bekanntlich eine wichtige Rolle.

Die Aktion der „kritischen Masse“ - oder eben modern anglizistisch der „Critical Mass“ - soll vor allem Aufmerksamkeit erregen, zugunsten des umweltfreundlichen Verkehrsmittels Fahrrad. Sollte sich ein Autofahrer über die vielen Radler als Verkehrshindernis ärgern, wäre der „Muskelmasse“ dessen höchste und nachhaltige Aufmerksamkeit sicher.

Von wütend hupenden Autofahrern war indessen nichts zu spüren, während die gut 150 Fahrräder eine Stunde lang um den Alleenring rollten - auch wenn es der „Masse“ an der „Beschleunigung“ fehlte: Ihr Durchschnittstempo lag bei 11,2 Stundenkilometern. Allerdings wird der Alleenring von Autofahrern eben nur in ganz seltenen Fällen komplett umrundet. Wer sich also plötzlich hinter der radfahrenden Masse befand, konnte meistens schon nach wenigen Hundert Metern eine Abfahrt wählen und somit den Verband getrost weiterkurven lassen.

Zudem fuhren die „Engagierten und Interessierten in Sachen Stärkung des Radverkehrs“, wie „Critical Mass“-Sprecher Hans Dörr die Teilnehmer betitelte, nur in einer Richtung um Kirchheims Innenstadt: im Uhrzeigersinn. Der Gegenverkehr war also gar nicht betroffen. Die einzige Einschränkung der Autofahrer, die auf der anderen Straßenseite unterwegs waren, bestand darin, dass sie sich wohl verwundert die Augen rieben, als ihnen so viele Fahrräder auf einmal begegneten. Auch das ist beabsichtigt: Die Aktion, die es in dieser Form in vielen anderen Städten gibt, will zum Umdenken anregen. Es geht um die Verkehrswende, die vom motorisierten Verkehr wegführen soll.

Hans Dörr zitierte Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann, der in einem Interview mit der Südwest-Presse unter anderem gefordert hatte: „In den Städten müssen um ein Drittel weniger Autos fahren“ und „Jeder zweite Weg unter fünf Kilometern muss mit eigener Körperkraft zurückgelegt werden“. Die Radler rund um den Alleenring bewiesen, dass das machbar ist: Wer von Anfang bis Ende dabei war, hat schließlich 11,2 Kilometer zurückgelegt, also wesentlich mehr als die erwähnten fünf Kilometer.

„I will über d‘ Straß‘“

Am breiten Überweg der Fußgängerampel in der Max-Eyth-Straße kam es indessen zu einem Konflikt mit anderen „Körperkraft-Verkehrsteilnehmern“. Einer Frau dauerte die Roll-Prozession der Radfahrer dann doch zu lange, sodass sie mehrmals empört ausrief: „I will über d‘ Straß‘.“

Immerhin aber hat die „kritische Masse“ nicht den gesamten Alleenring beansprucht. Hochgerechnet wären dazu 750 Fahrräder nötig. Zu dieser Zahl kann es noch kommen: Die Veranstaltung unter dem Dach des Netzwerks Forum 2030 soll künftig jeden zweiten Freitag im Monat wiederholt werden - von 17.30 bis 18.30 Uhr. Erster Termin ist der 13. September.

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