Kirchheim
„Ein schwer erträgliches Geltungsbedürfnis“

Politik Im Parteiausschlussverfahren gegen Boris Palmer gibt es in der Partei nun eine Initiative für einen Verbleib Palmers. Hiesige Grünen-Politiker sehen das eher Kritisch. Von Thomas Zapp

Zwiespältig sieht der Bundestagsabgeordnete Matthias Gastel seinen Parteikollegen. „Er hat mit seiner Überzeugungskraft und Beharrlichkeit als Oberbürgermeis­ter sehr viel im Umwelt- und Klimaschutz sowie konkret für den Radverkehr erreicht. Er hat aber auch ein schwer erträgliches Geltungsbedürfnis und überschreitet immer wieder Grenzen, wenn er sich abfällig und Vorurteile schürend über bestimmte Personen oder Personengruppen äußert. Das gehört sich weder für einen Oberbürgermeis­ter noch für einen grünen Politiker. Diese Rollen erfordern die Förderung des Zusammenhalts in der Gesellschaft und nicht deren Spaltung nach äußeren Merkmalen. Ein Landesparteitag hat, nachdem es unzählige Gespräche mit Boris Palmer gegeben hatte, ohne dass die notwendige Einsicht zu erkennen gewesen ist, sich mit breiter Mehrheit für ein Ausschlussverfahren entschieden.

Nach einer langen Vorgeschichte mit vielen vergeblichen Vermittlungsversuchen kann ich die Entscheidung nachvollziehen. Eine Partei muss klar machen, für welche Werte sie steht. Ich hätte mir einen anderen Weg als den des Parteiordnungsverfahrens gewünscht. Ich meine aber, dass die Entscheidung der Parteitags-Delegierten zu respektieren ist, und habe den Aufruf für eine Einstellung des Verfahrens daher nicht unterzeichnet.“

Die Kirchheimer Gemeinde­rätin Lena Weithofer findet es grundsätzlich wichtig, dass man auch innerhalb einer Partei kritisch und intensiv miteinander über politische Meinungen und Haltungen diskutiert. Es gebe innerhalb der Grünen aber auch Grenzen: „Diese Grenzen hat Herr Palmer meines Erachtens mehrere Male überschritten. Ich habe mich bewusst dagegen entschieden, mich der Initiative für Palmer anzuschließen, denn ich respektiere und begrüße die Entscheidung der Landesdelegiertenkonferenz, dass unser Landesschiedsgericht nun über den Fall entscheiden wird. Nun ist das Landesschiedsgericht am Zug.“

Seine Leistungen erkennt die Kommunalpolitikerin aber an: „Trotz allem finde ich aber, dass Boris Palmer in Tübingen eine gute Kommunalpolitik macht. Beispielsweise zeigt er mit seiner Klima- und Verkehrspolitik vor Ort vorbildlich, was alles möglich ist.“

Die politischen Verdienste des Tübinger Oberbürgermeisters erkennt auch der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Kirchheimer Gemeinderat, Manfred Machoczek, an: „Boris Palmer ist aus meiner Sicht ein sehr erfolgreicher Kommunalpolitiker, der in der Öffentlichkeit polarisierend auftritt. Dass er das auch anders kann, hat er bei den Schlichtungsgesprächen um Stuttgart 21 bewiesen. Die Entscheidung des Parteitags, ein Parteiordnungsverfahren gegen Palmer anzustrengen, hätte ich wohl nicht unterstützt, gleichzeitig respektiere ich diese Entscheidung.“

Das parteiinterne Verfahren gegen Palmer sieht er daher kritisch: „Die Hürden für einen Parteiausschluss sind durch das Parteiengesetz sehr hoch angesetzt, das begrüße ich außerordentlich. Ein Mitglied kann nur dann aus einer Partei ausgeschlossen werden, wenn es erheblich gegen die Grundsätze oder die Ordnung einer Partei verstößt und ihr damit schweren Schaden zufügt. Ich bin nicht sicher, ob durch das in meinen Augen unüberlegte Twittern und das Auftreten von Palmer in der Öffentlichkeit dieser Tatbestand erfüllt wird. Gleichzeitig bin ich aber verwundert, welchen Ton ein Oberbürgermeister in der Öffentlichkeit wählt und was manchmal getwittert wird.“

Nicht kommentieren wollte die Causa der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag, Andreas Schwarz. Er lässt über sein Büro ausrichten: „Das Schiedsgerichtsverfahren ist im Gange. Da wird sich herausstellen, ob der Parteiausschluss gerechtfertigt ist.“

Keine Kandidatur für Grüne

Bei der Tübinger Oberbürgermeisterwahl im Herbst wird Palmer nicht für die Grünen antreten. Er werde sich wegen des Parteiausschlussverfahrens gegen ihn nicht am Nominierungsprozess beteiligen, hat er gestern dem Stadtverband in einem Schreiben mitgeteilt. Seine Begründung: Es sei logisch und sachlich unmöglich, gleichzeitig ein Verfahren zur Nominierung und zum Ausschluss zu betreiben. Ihren Kandidaten oder ihre Kandidatin wollen die Tübinger Grünen per Urwahl.

Man habe in den vergangenen 16 Jahren in Tübingen viel erreicht. „Ich hätte daher gerne mit eurer Unterstützung den Versuch unternommen, diesen erfolgreichen Weg fortzusetzen", schreibt Palmer an die Tübinger Parteimitglieder. Ob er bei der Wahl des Stadtoberhaupts in Tübingen als unabhängiger Kandidat oder für eine andere Partei antreten könnte, hat Palmer noch offen gelassen.

 

Was Palmer vorgeworfen wird

 

Auf Facebook griff Boris Palmer ein angebliches Zitat des früheren Fußballprofis Dennis Aogo auf. Dieser soll sich selbst mit dem rassistischen N-Wort betitelt haben. Der Grünen-Politiker schrieb: „Der Aogo ist ein schlimmer Rassist.“ Er selbst betont im Nachhinein, dies ironisch gemeint zu haben.

Schon 2019 sorgte seine Kritik an der Deutschen Bahn für Empörung. Die Bahn wirbt auf ihrer Internetseite mit Bildern von Reisenden unterschiedlicher Hautfarben. Palmer schrieb: „Ich finde es nicht nachvollziehbar, nach welchen Kriterien die 'Deutsche Bahn' die Personen auf dieser Eingangsseite ausgewählt hat. Welche Gesellschaft soll das abbilden?"

Im Mai 2020 sagte er zum Umgang mit älteren Corona-Patienten: „Wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären. zap