Kirchheim

Ein Stand, den es so nicht gebraucht hat

Weihnachtsmarkt   Der Kirchheimer Tobias Mast wollte gestern in Esslingen an den Start gehen. Stattdessen hat er seine Hütte wieder abgebaut. Von Andreas Volz

Ein einsamer Stand auf dem Esslinger Weihnachtsmarkt: Tobias Mast hätte in dieser Hütte gerne Deie verkauft und Glühwein ausgeschenkt. Am Tag vor Marktbeginn kam die Absage. Ohne sie genutzt zu haben, baut er die Hütte jetzt wieder ab.  Foto: pr

Weihnachtsmärkte abgesagt? Es gibt Schlimmeres, werden sich viele denken. Man gewöhnt sich ja so langsam wieder an den Rückzug ins Private. Außerdem gab es ja vor einem Jahr auch schon keine Weihnachtsmärkte. Auf einen Glühwein mehr oder weniger kommt es nicht an – und nächstes Jahr schaun wir mal, wie’s dann aussieht. Das mag die Perspektive der stoischen Beobachter sein, die gerne einmal über einen Weihnachtsmarkt bummeln, die aber weder ihr Herz an den Budenzauber verloren haben noch davon leben müssen. Abwarten und – statt Glühwein – Tee trinken, fällt da nicht allzu schwer.

 

„Für viele ist eine Welt zusammengebrochen,
als die Absage kam.
Tobias Mast

Was aber ist mit denen, deren Überleben tatsächlich von Weihnachtsmärkten abhängt – mit Schaustellern und Marktbeschickern? Einer davon ist der Kirchheimer Tobias Mast, der Gastrostände mit Glühwein und schwäbischer Deie betreibt. Sein Stand in Esslingen hat eine Grundfläche von zwölf auf sechs Meter. Viele Wohnungen kommen auf weniger Quadratmeter. „Schon im Aufbau steckt ungeheuer viel Arbeit“, berichtet er. Vier Lkw-Ladungen braucht er, um das Material zu transportieren. Zimmerleute, Inneneinrichter, Dekorateure, Elektriker und Installateure bereiten alles vor. Dazu kommt das Personal, das den Stand während des Weihnachtsmarkts betreibt.

In Esslingen war alles aufgebaut. Gestern hätte der Weihnachtsmarkt dort losgehen sollen. Vorgestern kam die Absage. Vier Lkw-Ladungen kann Tobias Mast zurückverfrachten, unverrichteter Dinge. Einnahmen gibt es keine. Aber die Ausgaben für Auf- und Abbau bleiben. Schließlich sind die Arbeitsleistungen ja erbracht worden, auch wenn Tobias Mast keinen Nutzen davon hatte. Welche staatlichen Hilfen es in diesem Fall gibt, weiß er noch nicht.

Eigentlich wollte er von sich aus in Esslingen absagen – wie er es auch in Stuttgart getan hat. Nicht, dass er dort nicht gerne einen Stand betrieben hätte. Aber die Bedingungen waren nicht so, dass er auf ein gutes Geschäft hätte hoffen können. „Da gab es jeden Tag neue Richtlinien. Es ging darum, den ganzen Weihnachtsmarkt mit einem Zaun abzusperren. Dann sollte auch noch jeder Gastrostand extra eingezäunt werden. Wir hätten zusätzlich Security-Leute gebraucht, die sich darum kümmern, dass die Kunden am Stand alle Regeln einhalten.“ Er hatte aber keine andere Wahl, als in Esslingen aufzubauen: „Als ich absagen wolle, hieß es, dass ich die Standgebühr trotzdem bezahlen muss.“ Um die Standgebühr nicht unnötig zahlen zu müssen, hat er jetzt ganz andere Unkosten.

Dabei gehört Tobias Mast aber keineswegs zu denen, die laut über ihre eigene Situation klagen. Vielmehr zeigt er noch Mitgefühl für seine Kollegen: „Viele von denen haben ihre letzten Ersparnisse in den Aufbau gesteckt. Für die ist eine Welt zusammengebrochen, als die Absage kam.“ Dabei sei es ja absehbar gewesen, dass die Inzidenzzahlen in Höhen steigen, die ernsthafte Planungen für einen Weihnachtsmarkt nicht mehr zulassen. Die Stadt Esslingen hätte ihren Markt also schon absagen müssen, bevor alles aufgebaut war. 

Viele müssen aufgeben

Dass Tobias Mast so an seine Kollegen denkt, hat mit der besonderen Atmosphäre des Esslinger Weihnachtsmarkts zu tun: „Da geht es sehr familiär zu. Wir kennen uns alle seit vielen Jahren.“ Seine Prognose fällt deshalb umso düsterer aus: „Auch wenn es wieder einen Weihnachtsmarkt in Esslingen geben wird, er wird nicht mehr derselbe sein. Viele Betreiber müssen aufgeben, wenn jetzt bereits die zweite Saison nacheinander ausfällt.“ Das betreffe vor allem Kunsthandwerker, die zwei Jahre lang ihre saisontypischen Waren produzierte hätten, ohne sie verkaufen zu können.

Er selbst sitzt nicht auf Kanistern mit Hektolitern von Glühwein: Er konnte sich mit seinen Lieferanten arrangieren. Andere dagegen verschenken ihren Glühwein, weil sie ihn nicht in den Rinnstein leeren wollen. „Die Stimmung ist gerade nicht so prickelnd“, fasst Tobias Mast zusammen, was sich auf dem Esslinger Weihnachtsmarkt abspielt – an dem Tag, an dem der Markt eigentlich hätte eröffnet werden sollen.

...