Kirchheim

Ein Zeitzeuge der Zerstörung Dresdens

Geburtstag Der Kirchheimer Werner Malchow wird morgen 90 Jahre alt. Geprägt haben ihn seine Jugendjahre im Zweiten Weltkrieg und seine Zeit als selbstständiger Unternehmer. Von Andreas Volz

Werner Malchow kann auf 90 bewegte Lebensjahre zurückblicken. Foto: Andreas Volz
Werner Malchow kann auf 90 bewegte Lebensjahre zurückblicken. Foto: Andreas Volz

Am morgigen Donnerstag feiert Werner Malchow in Kirchheim seinen 90. Geburtstag. Dass er einmal auf ein so langes Leben zurückblicken könnte, hätte er nicht gedacht: „Es gab Zeiten, da musste ich damit rechnen, dass ich nicht einmal älter als 16 werde.“ Schon ist er bei einem Thema, das ihn fürs Leben geprägt hat: Als 16-jähriger Soldat hat er die Zerstörung Dresdens im Februar 1945 miterlebt. Er erinnert sich an grausige Details, sagt aber dennoch eher lapidar: „Einmal war es sehr knapp; eine Bombe schlug direkt neben der Betonwand ein, an der ich auf der anderen Seite auf einer Pritsche lag. Da wurde ich ordentlich durch die Gegend geschleudert.“

Einige Zeit später erlitt er eine Schussverletzung am linken Arm, die ihn bis nach Kriegsende in verschiedene Lazarette führen sollte. Entscheidend für Werner Malchows Grundeinstellung ist einerseits das duldende Hinnehmen von Ereignissen, die sich nicht ändern lassen, und andererseits die Fähigkeit, in allen Lagen auch noch das Positive zu erkennen. So auch bei seiner Kriegsverletzung: „Das beste, was ich damals zu hören bekam, war, dass der Arm dranbleiben konnte. Danach war ich recht froh.“

Im Lazarett in Ilmenau teilte er sich ein Klassenzimmer der umfunktionierten Knaben-Oberschule mit neun anderen Verletzten, die allesamt beinamputiert waren. Das hatte einen ganz pragmatischen Grund: „Wenn da was passierte, auch in der Nacht, dann brauchten die ja jemanden, der einem Arzt oder einer Schwester Bescheid geben kann. Und ich war der Einzige, der laufen konnte.“

In Ilmenau hat Werner Malchow einen wichtigen Teil unmittelbarer Nachkriegsgeschichte erlebt: Die Räumung des besetzten Thüringen durch die Amerikaner, um es vertragsgemäß der Roten Armee zu überlassen. Sicherheitshalber ging er damals gleich mit den Amerikanern in den Westen.

Im Hessischen kam er aus dem Lazarett in ein Gefangenenlager. Dort blieben ihm als einzige Habseligkeit die Kleider, die er am Leib trug. Geschlafen wurde auf freiem, aber abgegrenztem Feld auf dem Boden - bei Regen, Schnee und Kälte. Als Verletztem stand ihm noch ein Zeltdach zu.

Nach der Entlassung aus der Gefangenschaft schlug sich Werner Malchow wieder in seine uckermärkische Heimat durch, nördlich von Berlin - wo er das nächste Stück Nachkriegsgeschichte miterlebte: sowjetische Besatzung und Gründung der DDR. Nachdem die Behörden sich anfänglich querstellten, konnte er schließlich die Ingenieurschulen in Zwickau und Leipzig besuchen. Die erste Arbeitsstelle führte ihn danach nach Ost-Berlin, wo ihn schon bald ein Angebot aus West-Berlin erreichte. „Da bin ich dann übergesiedelt. Ich bin aber nicht als Flüchtling in den Westen gegangen“, betont er.

Der weitere Weg führte nach Düsseldorf, von wo aus er fast das gesamte Ruhrgebiet bereiste und als Ingenieur mithalf, zahlreiche Industrieanlagen wieder aufzubauen. Die Gesundheit seiner Frau Johanna, die er 1959 geheiratet hatte, machte schließlich eine Luftveränderung erforderlich: So kam die Familie Malchow, zu der sich im Lauf der Zeit zwei Kinder und drei Enkelkinder gesellten, 1964 nach Kirchheim - um zu bleiben.

Die Arbeit bestimmt das Leben

Werner Malchow machte sich selbstständig - mit einem Betrieb, der Doppel-Rohr-Systeme für die chemische Industrie entwickelte. Persönlich besuchte er die Kunden, um mit ihnen gemeinsam das jeweils passende System zu entwickeln. Die Arbeit erfüllte ihn und nahm seine gesamte Zeit in Anspruch, bis er sich mit 78 aus dem Unternehmen zurückzog.

Freie Zeit blieb ihm kaum. Dennoch hat er im Verein Schlaraffia Freunde fürs Leben gefunden, mit denen er sich auch gern zum Kegeln und zum Billard traf. Letzteres ist seine große Leidenschaft, wobei er beklagt: „Die jungen Leute spielen heute ja kein richtiges Billard mehr - mit drei Kugeln. Die bevorzugen Tische mit Löchern.“ Solche Entwicklungen zeigen, dass 90 Jahre doch eine gewaltige Zeitspanne darstellen - auch wenn Werner Malchow sinniert: „Rückwärts betrachtet, sind das gar nicht so viele Jahre. Gefühlsmäßig ist der Zeitraum sehr kurz.“