Kirchheim
Eine deutsch-deutsche Geschichte

Literatur Bernhard Hurm liest im Evangelischen Gemeindehaus in Jesingen aus Felix Hubys Roman „Was soll ich auf der Schwäbischen Alb?“ Von Ulrich Staehle

Aktueller geht Literatur nicht. Und das im evangelischen Gemeindehaus Jesingen. Felix Hubys Roman ist im Februar dieses Jahres erschienen. Der schwerkranke Autor konnte selbst keine Lesung mehr veranstalten. Er starb im August.

Jetzt hat eine Lesung stattgefunden: mit Bernhard Hurm, einem gern gesehenen Gast in Kirchheim. Er ist Star des Melchinger Theaters Lindenhof, dessen Leitung er letztes Jahr niedergelegt hat. Zu Beginn erzählt er von der freundschaftlichen Arbeitsbeziehung des Lindenhofs zu Huby, für das der vielgefragte Autor einige Texte geschrieben hat. Diese Lesung war deshalb für Hurm ein persönliches Anliegen und er bedankt sich bei Ingrid Gaus, der ehemaligen Leiterin der Stadtbücherei, die als jetziges Mitglied des Nachbarschaftsnetzwerks „Miteinander in Jesingen“ das Engagement managte. Mit an Bord war wirkungsvoll der Literaturbeirat der Stadt Kirchheim. Ergebnis: ein vollbesetztes Gemeindehaus mit einer Lesung in geselliger Atmosphäre.

Der Handlungskern von Hubys Roman ist schnell erzählt: In einem metallverarbeitenden Industriebetrieb eines kleinen Albdorfes sieht sich der Fabrikant Müllerschön veranlasst, seinen Betriebsleiter wegen seiner Alkoholabhängigkeit streng zu ermahnen, sonst ist seine Stelle gefährdet. Ortswechsel: Severin Kühn sitzt nach der Wende in seiner kleinen Berliner Wohnung. Seine Frau und die gemeinsame Tochter sind schon vorher mit einem anderen Mann in den Westen abgehauen. Er selbst musste als Betriebsleiter des VEB Gerüstbau seinen Betrieb abwickeln. Als einziger Trost bleibt ihm seine Trompete, die er meisterlich beherrscht.

Überraschend taucht der schwäbische Unternehmer Müllerschön bei ihm auf und möchte ihn engagieren. Kühn kann sich das nicht vorstellen: „Was soll ich auf der Schwäbischen Alb?“ Schließlich lässt er sich doch überreden, die Sache einmal anzusehen, und fährt über Land mit seinem Trabi in das fiktive Dorf Heimeringen. Dies ist nun der Knackpunkt der Geschichte: Wie wird der Ossi mit den schwäbischen Dickschädeln und Eigenbrötlern zurechtkommen? Hurm konzentrierte sich sinnvollerweise bei seiner Textauswahl auf diese Frage. Weitere Personen des Romans und deren Privatleben, die der gesellschaftspolitisch sensible Huby aufbietet, bleiben am Rande oder ganz draußen.

Eine Rolle spielen dürfen die Landschaften, die Alb und der Bodensee, bei denen es dem Schwaben warm ums Herz wird. Ebenso die Leidenschaften der Bewohner dieses Albdorfs: Man ist Mitglied eines Musik- und eines Höhlenvereins, und man trifft sich am Stammtisch. Allerdings: Gerade dort werden Ressentiments gegen den Ossi geschürt, die sich bis zu einer Sabotagehandlung steigern.

Aber gerade am Stammtisch müssen sich die Älbler von Severin Kühn anhören, dass die Wende bei den Ossis nicht nur Glücksgefühle auslöste, sondern die Abwicklung ganzer Betriebe und Arbeitslosigkeit mit sich brachte. Aber auch der Ossi muss lernen, dass in der Arbeitswelt hierzulande ein demokratischer Ton herrscht.

Am Schluss fügt sich alles wundersam zum Guten zusammen, betrieblich und privat. Vielleicht hat diese positive Grundeinstellung damit zu tun, dass Huby sich selbst als glücklichen Menschen bezeichnete, der dankbar und zufrieden sterbe.

Hubys Roman besteht weitgehend aus Dialogen. Hier wird formal der Drehbuchautor von Schimanski- und Bienzle-Krimis spürbar. Angesichts der vielen Dialoge erweist sich Bernhard Hurm als Glücksfall. Als Originalschwabe und Theaterprofi kann er voller Huby-Engagement die schwäbischen Äußerungen innerhalb des Hochdeutschen genüsslich herausmodellieren. Huby konnte das bei dem verschriftlichten Schwäbisch nur andeuten. So geriet eine Lesung zum wahren Vergnügen des Publikums an der Rezitation und am Rezitator.