Kirchheim
Eine Form der Auferstehung

Kunstweg In der Ötlinger Ortsmitte würdigt die „Hommage an den Kegelesbach“ des Künstlers Johannes Vogl den verschwundenen Wasserlauf. Von Florian Stegmaier

Eine Hommage an einen Bach? Das ist ungewöhnlich. Gilt eine solche Würdigung doch meist einer menschlichen Person. Bedenkt man aber, dass der Kegelesbach für Ötlingen eine identitätsstiftende Funktion hatte, erscheint seine Ehrung als pietätvolle Geste. Denn jahrhundertelang schätzte man den Wasserlauf als Lebensader. Er diente zur Wasser- und Energieversorgung. Auch für die Brandvorsorge spielte er eine wichtige Rolle im Dorfleben. Doch seit 1958 ist der Bachlauf verdolt und aus dem Ortsbild verschwunden.

Mit W. G. Sebald könnte man Johannes Vogls skulpturale Hommage als den „Versuch einer Restitution“ bezeichnen. In der ästhetischen Wiederherstellung des Untergangenen hatte der Schriftsteller die vornehmliche Aufgabe der Kunst gesehen. Und tatsächlich feiert der begrabene Bach in Vogls Kunstwerk eine Form der Auferstehung.

Schon allein mit ihrer imposanten Höhe von fünf Metern bildet die im Jahr 2022 errichtete Skulptur einen prägnanten Blickfang in der Ötlinger Ortsmitte. Grafisch ist der natürlich gewundene Bachlauf in der Skulptur aufgehoben. Dieser individuellen Spur verleiht subtiler Einsatz von Blattgold eine warm glänzende Aura, die an die lebensspende Qualität des Wassers erinnert. Und dafür, dass die wieder ans Licht gehobene Signatur des Kegelesbachs auch nachts lesbar bleibt, sorgt eine dezent integrierte Beleuchtung.

Denn der 1981 in Kaufbeuren geborene Johannes Vogl ist kein abgehobener Schöngeist. Er ist ein Tüftler und Schrauber. Kein Wunder, dass der im Blaumann agierende Künstler bereits mit Jean Tinguely verglichen wurde. Die Schnittmenge mit dem Vater der Maschinenplastik liegt im handwerklich zupackenden Gestus, der auch Vogls fertigen Arbeiten anzusehen ist. Kunstfreunde werden sich an seine Einzelausstellung im Kirchheimer Kornhaus 2018 erinnern. Der Absolvent der Karlsruher, Wiener und Berliner Kunstakademien zeigte „apparative Skulpturen“. Mechanisch bewegte Objekte, die als eigensinnige Akteure den menschlichen Alltag hinterfragen.

Vogls skurriler Maschinenpark mutet befremdlich und anziehend an. Gefangen in selbstbezüglichen Endlosschleifen führen seine kinetischen Objekte Tätigkeiten aus, die zum Kernbestand menschlichen Repertoires gehören. Vogls Objekt „Weiner“ lässt die Tränen kullern. Wenn aber Weinen künstlicher Hilfe bedarf und die Weinhilfe offen ausstellt, steht das menschliche Innenleben auf dem Prüfstand. Aus der Werkstatt von Daniel Düsentrieb scheint Vogls kongeniale „Marmeladenbrotstreichmaschine“ entsprungen. Stoisch erfüllt sie ihre Aufgabe. Was sie nicht hindert, ihren Zweck präzise zu verfehlen: zuverlässig lässt sie das Toastbrot auf die bestrichene Seite fallen. Die zur Anschauung kommende „Tücke des Objekts“ haben schon Wilhelm Busch und Friedrich Theodor Vischer ausbuchstabiert. Was sich im 19. Jahrhundert als Ausdruck menschlicher Entfremdung Bahn brach, weckt im digitalen Setting der Gegenwart nostalgische Gefühle.

Handwerkliches Ethos und Erfindergeist, analoge Haptik und solide Materialität verleihen Vogls Skulpturen den Charme des Reaktionären. Zeitlose Beständigkeit strahlt auch seine Ötlinger Skulptur aus. Fraglos eine würdige Hommage an den versenkten Bach.