Kirchheim
Er hat noch einen Koffer in Berlin: Hennrich verlässt die Politik

Abschied Der CDU-Bundestagsabgeordnete Michael Hennrich vollzieht nun den lang angekündigten Schritt in die Wirtschaft und wird Lobbyist. – Splitter aus zwei Jahrzehnten Leben als Bundespolitiker. Von Irene Strifler

Politik ist sein Leben – zwei Jahrzehnte lang und noch bis Ende Februar: Seit 2002 vertritt der CDU-Mann Michael Hennrich aus Kirchheim den Wahlkreis im Bundestag. Angefangen hat seine politische Karriere da, wo sie nun auch aufhört: auf der Oppositionsbank – eine richtig gute Zeit, meint er rückblickend auf die ersten Jahre. Der wahrlich nicht bedeutende Stellenwert eines jungen Oppositionspolitikers war im Rund der Abgeordneten klar. Doch über die Jahrzehnte ist aus dem unbeschriebenen Blatt, dem „politischen Azubi“, wie er selbst sagt, ein renommierter Gesundheitspolitiker geworden. Wegweisende Gesundheits-Gesetze sind mit seinem Namen verknüpft.

Olaf Scholz ist dem Kirchheimer Politiker erstmals schon 2003 aufgefallen, als selbiger mit ultraschlechtem Ergebnis zum Generalsekretär gewählt wurde. Hennrich kommt das seinerzeit geprägte Wort vom „Scholzomaten“ in den Sinn, das den empathielosen Hanseaten in seiner Außenwahrnehmung beschrieb. Der erklärte Merkelianer Hennrich schätzte jedoch diese pragmatische Art. Fast habe er ihm leid getan, wurde er doch zum Sündenbock der großen Koalition. „Er ist immer wieder aufgestanden“ bewundert der Schwabe Scholz´ Durchhaltevermögen, das letztlich zur Kanzlerschaft trotz darniederliegender SPD führte. – Auch, weil die Christdemokraten ihre Chance nicht zu nutzen wussten.

Lobbyismus, das hässliche Wort, wischt Hennrich mit einem Achselzucken weg. Nach Ankündigung seines Wechsels auf den Geschäftsführerposten im Bundesverband der Arzneimittelhersteller bekam er das des öfteren zu hören – übrigens so gut wie nie in Berlin. Eines macht er klar: „Ein Vermögen verdiene ich auch jetzt nicht!“ Doch Oppositionsarbeit sei nunmal desillusionierend. Platz machen für die „hungrigen Jungen“ ist daher Hennrichs Devise, der einen Generationswechsel in der Babyboomer-dominierten CDU ankündigt..

In der „Bunten“ hat’s Hennrich glatt mal auf die Titelseite geschafft – eine Tatsache, die ihm mehr Kommentare und Bekanntheit einbrachte als jedes Zitat in FAZ oder Handelsblatt, wie er schmunzelnd berichtet. Anlass war der Bildzeitungsskandal um den damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff. Der ploppte just in dem Moment auf, als Hennrich 2011 als Vorsitzender der deutsch-arabischen Parlamentariergruppe mit Wulff im Oman weilte und dem Bunte-Fotografen vor die Linse lief. Bei der Frage nach Politikern anderer Couleurs, die ihn beeindrucken, nennt er spontan Annalena Baerbock, die als Außenminister derzeit alle verblüffe. Vor allem aber sei da Franz Münterfering, der die große Koalition von 2005 bis 2009, die „beste Regierung, der ich angehörte“, ehrlich und konstruktiv gelebt habe.

Tolle Erinnerungen auf politischer und gesellschaftlicher Ebene hat Fußballfan und Sportsfreund Hennrich an die Weltmeisterschaft von 2006: „Deutschland hat sich gut präsentiert“, schwärmt er und spricht von einem „gesunden Patriotismus“, der damals spürbar war. Was folgte, konnte dies nie toppen. Aus der Wirtschaftskrise von 2009 ging das Land immerhin entsprechend Merkels Prognose sogar gestärkt hervor. Später häuften sich die Krisen. Vor allem die Pandemie habe Gesellschaft und Staat stark verändert, meint Hennrich bedauernd. Den Ukraine-Krieg bezeichnet er als „Zeitenwende“: „Krieg war bis dahin außerhalb jeder Vorstellungskraft.“

Ich hab noch einen Koffer in Berlin, schmachtete einst Marlene Dietrich. Die Sympathie für die Hauptstadt eint die Diva mit dem Politiker. Er hat sogar mehr als den sprichwörtlichen Koffer dort, liegt sein neuer Dienstsitz doch weiterhin mittendrin, allerdings auch in Bonn. Das freut den Kirchheimer besonders, denn er hat einst dort studiert und für den damaligen CDU-Bundestagsabgeordneten Elmar Müller gearbeitet. Pendeln quer durch die Republik – mittlerweile übrigens durchweg mit der Bahn  – gehört also weiter zu seinem Alltag. Allerdings ohne die langen Facebook-Posts, die auf den Fahrten entstanden. Aus den sozialen Medien will sich der Ex-Politiker weitgehend zurückziehen.

Kirchheim war für Hennrich immer ein echter Heimathafen. Hier lebt er mit seiner Frau Anja, hier sind seine beiden Söhne groß geworden. Und bekanntlich liebäugelte er einst auch mit dem Posten des Oberbürgermeisters in der großen Kreisstadt. Doch unverhofft kommt oft. Dass es den Juristen dann doch in die Politik verschlagen hat, ist rückblickend kein Nachteil. Nicht zuletzt, weil der Familie möglich war, einigermaßen unauffällig zu leben. Das soll auch so bleiben.