Kirchheim

Er radelte 4000 Kilometer, um zu forschen

Erinnerung Vor 94 Jahren startete der ehemalige Deula-Leiter Karl Binder mit dem Fahrrad seine Studienreise. CO2 war damals schon ein Thema. Von Thomas Krytzner

Hartmut Binder (Foto oben) schwelgt gerne in Erinnerungen an seinen Vater, der vor 94 Jahren mit seinem Fahrrad Deutschland und
Hartmut Binder (Foto oben) schwelgt gerne in Erinnerungen an seinen Vater, der vor 94 Jahren mit seinem Fahrrad Deutschland und Holland erkundete. Foto: Thomas Krytzner
Die Aufnahme zeigt Karl Binder (rechts) bei einem seiner Ausflüge in die Natur.
Die Aufnahme zeigt Karl Binder (rechts) bei einem seiner Ausflüge in die Natur. Foto: Thomas Krytzner

Wenn Hartmut Binder in seinem Garten an der Lauter in Erinnerungen an seinen Vater schwelgt, vermischen sich Stolz und Nachdenklichkeit. „Er erblickte als Justus Karl Binder am 12. Mai 1900 das Licht der Welt, aber der zweite Vorname, Karl, setzte sich durch.“

Karl Binder war der Natur seit frühester Kindheit zugetan. „Vor allem für die Landwirtschaft interessierte er sich und deshalb ließ er sich an der Württembergischen Landwirtschaftlichen Hochschule in Hohenheim zum Diplom-Landwirt ausbilden.“ Karl Binder hat beide Weltkriege miterlebt, aber es gibt kaum Erinnerungen daran. „Vater hat nur wenig aus der Kriegszeit erzählt, die er in Frank­reich, an der spanischen Grenze und in Russland verbrachte“, erinnert sich Hartmut Binder.

Auszug aus dem Zeitungsartikel in der "Schwäbischen Tageszeitung" vom 28. Dezember 1927 - 6 weitere Artikel folgten täglich.
Auszug aus dem Zeitungsartikel in der "Schwäbischen Tageszeitung" vom 28. Dezember 1927 - 6 weitere Artikel folgten täglich. Foto: Thomas Krytzner

Viel mehr habe der ehemalige Leiter der Deula Kirchheim, der er von 1950 bis 1958 vorstand, über die Erlebnisse in der Natur berichtet. „Er war nie richtig häuslich, ihn trieb es hinaus ins Freie, um noch viel mehr über Ackerbau und Viehzucht zu lernen.“ Am 13. April 1927 bestieg Karl Binder das Wanderfahrrad - ohne Gangschaltung und besondere Ausrüstung -, um während einer 53-tägigen Studienreise rund 4000 Kilometer abzustrampeln. Diese Radtour führte den damals 27-jährigen DiplomLandwirt vom Schwarzwald bis nach Holland. „Das Geld in den 20er-Jahren war knapp, mein Vater hat auf seiner Reise vermutlich öfters im Freien übernachtet“, vermutet Hartmut Binder.

Seine Erlebnisse und Erkenntnisse hat der Reisende bis ins letzte Detail aufgeschrieben. Karl Binder berichtet unter anderem über die Veränderungen beim landwirtschaftlichen Anbau. Auch die damals geltenden Preise für Feldfrüchte oder Weinbau weckten das Interesse des Landwirts. „Er hat seine Berufskollegen sehr genau beobachtet und dabei markante Unterschiede in der Arbeitsweise festgestellt“, erklärt Hartmut Binder. So steht beispielsweise im Reisebericht: „Der Holländer Bauer ist fleißig und sehr anspruchslos, dabei intelligent und unternehmungslustig.“

Nebst den Menschen beschrieb Karl Binder in seinem Bericht aber auch die Beschaffenheit der Böden und deren Düngung. Selbst Kohlendioxid (CO2) spielte vor 94 Jahren in der Landwirtschaft eine erhebliche Rolle, wie Karl Binder damals erkannte. So entdeckte er in Wiesmoor auf seiner Radtour ein Elektrizitätswerk, das aus dem Torf des Moores Energie erzeugte. „Die abgebauten Flächen wurden teilweise zu Gemüsekulturen verwendet. Im Frühjahr waren 15 Hektar unter Glas und geheizt wurde mit Abwärme des Elektrizitätswerks und warmen Verbrennungsgasen, die große Mengen an Kohlendioxid enthielten.“

Reisebericht wurde abgedruckt

Der detaillierte Reisebericht stieß damals nicht nur bei den Landwirten auf großes Interesse. Die „Schwäbische Tageszeitung“ veröffentlichte Karl Binders Erlebnisse in sieben Folgen, bestätigt Hartmut Binder. „Geschrieben hat er seinen Artikel auf einer alten Schreibmaschine mit Durchschlag, und ich bin froh, dass das Original auch heute noch existiert. Leider interessieren sich die Jungen kaum noch dafür“, bedauert Hartmut Binder.

Am Ende seiner beruflichen Tätigkeit war Karl Binder Oberregierungslandwirtschaftsrat. „Diese Beförderung sicherte meinem Vater damals eine gute Rente.“ Die letzte Erinnerung, die Hartmut Binder an seinen Vater hat, ist der Umzug von Kirchheim nach Neidlingen. „Karl Binder war von ständigen Kopfschmerzen geplagt, die er nur mit vielen Schmerzmitteln ertrug. Der Umzug erfolgte letztlich, weil mein Vater vermutete, dass in Neidlingen die Luft besser zirkuliert.“

Am 4. Januar 1982 starb Karl Binder mit 82 Jahren. „Er hatte alles bereits geregelt und wollte auf dem Pragfriedhof anonym beer­digt werden. Das war damals nicht üblich.“ Die Familie gewährte dem ehemaligen Deula-Leiter den letzten Wunsch und kam damit seiner Lebensweisheit entgegen: „Nur keinem zur Last fallen.“

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