Kirchheim

Experte will Probleme in Griff kriegen

Großprojekt Kalkstaub an der ICE-Tunnelbaustelle und kein Ende: Bis die Maßnahmen greifen, die Achim Lohmeyer derzeit in die Wege leitet, dauert es noch ein Weilchen. Von Iris Häfner

Achim Lohmeyer hat sich des Kalks angenommen. Foto: Carsten Riedl
Achim Lohmeyer hat sich des Kalks angenommen. Foto: Carsten Riedl

Staub, Staub, nichts als Staub. Nicht nur die Sahara schickt Partikelwolken gen Europa, auch die ICE-Tunnelbaustelle tut ihr Übriges dazu und produziert Brandkalkwolken, die sich regelmäßig in Richtung Kirchheim und Dettingen aufmachen - vom Blütenstaub ganz zu schweigen. Wer des Nachts auf der Autobahn fährt, sieht die Staubglocke über der Baustelle schön in den Scheinwerfern wabern.

Die Anwohner der betroffenen Siedlungen sind nach Monaten der zusätzlichen Belastung mit ihrer Geduld am Ende. Erste Schäden, die auf den ätzenden Brandkalk schließen lassen, treten immer deutlicher zutage. So ist beispielsweise die stabile Winterplane zersetzt, die einen Pool den Winter über abdeckte. Kalkpartikel können so jetzt auch in die Wanne dringen und dort ihr Werk fortsetzen. Glasdächer sind verätzt, Autos müssen alle paar Tage gründlich gereinigt werden. Anwohner klagen über Atemwegsbeschwerden, die sie seit Wochen nicht losbekommen. „Wir werden nicht für voll genommen. Wir bekommen eine Telefonnummer nach der anderen und jeder sagt was anderes“, ist die Erfahrung der Betroffenen.

„Ich sehe die Situation. Sie kann so nicht weitergehen, sie ist total inakzeptabel“, sagt Achim Lohmeyer vom gleichnamigen Ingenieurbüro für Immissionsschutz, Klima, Aerodynamik und Umweltsoftware. Er ist der Staubschutzbeauftragte des gesamten Bahnprojekts Stuttgart-Ulm und hält sich derzeit hauptsächlich in Kirchheim und nicht auf den Stuttgarter Baustellen auf. Er soll dafür sorgen, dass die Auflagen eingehalten werden. „Eigentlich ist es schon besser geworden. Die Kalkzugabe erfolgt nicht mehr am Boden“, erklärt er. Mittlerweile wird der Kalk über die Förderbänder auf den schlammartigen Abraum aus dem Tunnel aufgebracht. Ein Silo speist eine Schnecke, die das weiße Material nach oben transportiert, wo es auf das Band rieselt. Der Kalk liegt dann aber nur oben drauf. An der nächsten Bandübergabestation - eine Art Kreuzung - plumpst das Gemisch in einem Trichter auf das letzte Förderband, was zu einer bestimmten Durchmischung führt. Am Ende dieses Bands, direkt über dem Abwurf, ist eine weitere Kammer angebracht, in der eine Art Quirl die Masse ähnlich eines Teigs vermischt. Funktioniert dieser letzte Teil des Ablaufs, kommt unten ein gebundenes, staubfreies Gesteinsgemisch heraus. Aber: An jeder Übergabestelle steigt kontinuierlich weißer Staub auf - mal mehr mal weniger. Totale Abkapslung sei technisch nicht möglich, künftig soll es Sprühnebel geben.

„Dass immer irgendwie was rausstaubt auf der Baustelle, können wir nicht vermeiden“, dämpft Achim Lohmeyer allzu große Hoffnungen. Ein „Hauptereignis“, wie es in den vergangenen Wochen regelmäßig vorkam, soll jedoch nicht mehr passieren. Deshalb wird die Baustelle künftig intensiver überwacht und zusätzliches Personal eingestellt. „Sie sind 24 Stunden sieben Tage in der Woche vor Ort“, verspricht Achim Lohmeyer. Die Bauüberwachung darf nicht in den Betrieb eingreifen, also die Tunnelmaschinen weder an- noch abschalten - und hat sich deshalb in der Vergangenheit nicht getraut, auf den Not-Halt zu drücken. Dies soll sich ändern. „Die Blockade, den Not-Aus-Knopf zu drücken, müssen wir aufheben. Dazu werden entsprechende Leute jetzt autorisiert“, so Lohmeyer. Deren Namen hat er eingefordert und will sie in „naher Zukunft“ schulen.

Damit soll sichergestellt werden, dass die Verantwortlichen wissen, wo sich dieser wichtige Knopf befindet und unter welchen Bedingungen er gedrückt werden darf. Genaue Grenzwerte gibt es nicht. Was zählt, ist die Einschätzung des jeweiligen Arbeiters. „Ihm drohen jedoch keine Konsequenzen, wenn er mal falsch drückt“, sagt Achim Lohmeyer. In Arbeit ist auch eine Liste all der Ersatzteile, die auf der Baustelle vorgehalten werden müssen, damit eine schnelle Reparatur gewährleistet ist und sich nicht in Improvisationskunst geübt wird. „Die Kooperationsbereitschaft ist groß. Alle sind guten Willens, die Dinge umzusetzen - ich fühle mich verantwortlich, das abzustellen“, sagt Achim Lohmeyer.

Vertrauen verspielt

Ist die Katze aus dem Haus, tanzen die Mäuse auf dem Tisch. Dieses Sprichwort gilt zum Leidwesen der Anwohner regelmäßig für die ICE-Tunnelbaustelle. Vor allem abends und nachts sehen sich die Spaziergänger und Anrainer immer wieder den Kalkwolken ausgesetzt. Das soll sich nun ändern mit einer 24-Stunden-Dauerüberwachung sieben Tage die Woche - und das wirft kein gutes Licht auf die Baufirma Implenia. Die Bahn muss sich die Frage gefallen lassen, warum erst jetzt zu dieser Maßnahme gegriffen wird, nachdem seit Monaten immer wieder massiv über zu viel Kalk geklagt wurde.

Ein Schelm wer böses dabei denkt, dass kein Bahnmitarbeiter auf der Baustelle einen festen Arbeitsplatz hat. Die Bürocontainer sind ausschließlich von Implenia-Mitarbeitern belegt. Hat sich dies etwa zum Nachteil für Kirchheim entwickelt? Geht nichts ohne massive und intensive Kontrollen? Und wie soll es die nächsten Jahre weitergehen?

„Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube“, lässt sich traurigerweise Goethes Faust wegen der Kalkstaub-Belastungen zitieren. Das Vertrauen ist zerstört, der Kredit von Implenia und Deutsche Bahn glorreich verspielt. Was zählt, sind Tatsachen und keine leeren Versprechungen - und nur daran werden die Beteiligten gemessen.