Kirchheim
Fahrradwege für Kirchheim: „Es herrscht Aufbruchstimmung“

Radfahren Kirchheims Erster Bürgermeister Günter Riemer sieht im Fahrrad die beste Alternative zu Kurzstreckenfahrten im Auto. Entscheidend ist die Sicherheit der Radwege, dafür gibt es Pläne in der Teckstadt. Von Thomas Zapp

Umweltbewusste Fahrradfahrer haben diesen Satz gerne im Repertoire: Das Auto kommt bei uns eigentlich nur noch für Urlaubsfahrten zum Einsatz. Kirchheims Erster Bürgermeister Günter Riemer sagt ihn als bekennender Dauerradler und ergänzt es um einen weiteren Aspekt: „Das Dienstauto habe ich abgeschafft.“ Erst neulich sei er mit dem Oberbürgermeister zum Treffen des Zweckverbands Gruppenklärwerk nach Plochingen geradelt. Angenehmer Nebeneffekt: „Da reden Sie mehr, als wenn Sie im Auto sitzen“, meint er.

Der Autor dieser Zeilen ist seit zweieinhalb Jahren selbst regelmäßiger E-Bike-Fahrer und kann es anhand seiner Tankausgaben aus eigener Erfahrung bestätigen: Wenn es um die Mobilitätswende geht, spielt das Fahrrad eine immer größere Rolle. Riemer bestätigt das: „Es herrscht Aufbruchstimmung im Kirchheimer Gemeinderat.“ Die Elektrifizierung der Fahrräder vor rund zehn Jahren habe den Personenkreis für Fahrradfahrer zudem erweitert, fügt er hinzu. Riemer ist neben seinem Bürgermeisteramt auch Vorstandsvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Fahrrad- und Fußgängerfreundlicher Kommunen in Baden-Württemberg und wird bundesweit zu Themen rund um den Fahrradverkehr eingeladen.

Die Realität steht der Stimmung jedoch noch entgegen. „Es wird ein immer wichtigeres Verkehrsmittel, aber es gibt eine Angst vor Verkehrswegen und Vandalismus“, sagt Günter Riemer. Auch davon kann der Autor des Textes ein Lied singen: Die Fahrt über die Eisenbahnbrücke bei Wendlingen auf dem erhöhten Gehweg, den auch Fahrräder benutzten dürfen, wird zur Gedulds- und Balanceprobe, wenn Fußgänger überholt werden müssen, am Kreisverkehr in Köngen die ständige Frage: Fährt man sicherer über Bürgersteig und Zebrastreifen oder muss man sich in den Straßenverkehr einordnen?

Daher soll der künftige Rad­schnellweg von Kirchheim nach Stuttgart über Esslingen und Ostfildern woanders entlangführen. „Sie kommen links von den Bahnschienen problemlos bis nach Wendlingen auf einer Trasse, die bereits existiert. Dann stellt sich aber die Frage, wie Sie über die Bahnschienen und den Neckar kommen“, sagt Riemer. Die Lösung kann für ihn nur eine große sein: eine neue separate Brücke, die sowohl die Bahnstrecke als auch das Wasser überquert. Über Köngen und Denkendorf geht es dann weiter auf die Fildern. „Aber da sind unterschiedliche Gemeinden betroffen. Sie sehen das beim Neckartalweg: In Plochingen wird der blockiert, deswegen geht es da nicht weiter“, sagt der passionierte Radfahrer. 

 

Wenn wir mehr Menschen aufs Fahrrad bringen wollen, reichen Schutzstreifen nicht mehr aus.
Günter Riemer
 

Deshalb geht er auch davon aus, dass die Trasse auf dem Gemeindegebiet in Kirchheim relativ schnell fertig sein könnte, was bedeutet drei bis fünf Jahre. Auf der weiteren Strecke müsse man viele Gemeinden und Behörden mit einbeziehen. Bei jeglicher Radinfrastruktur immer entscheiden, wer Vorfahrt hat: Auto, Fußgänger oder Radfahrer. Im Übrigen hätte man mit derlei Problemen auch im Radfahrerparadies Holland zu kämpfen, wo sich Günter Riemer mit einer Delegation vor Ort informiert hat. „Die haben mir gesagt, dass sie nicht besser seien, nur dass sie 30 Jahre vor uns mit dem Thema begonnen haben“, sagt er. 

Um das Fahrrad möglichst schnell populärer zu machen, sind einfache Maßnahmen gefragt: etwa neue Sicherheitsstreifen an der Stuttgarter Straße auf Fahrbahnhöhe, damit man sich auf dem Bürgersteig nicht mehr mit den Fußgängern in die Quere kommt. Dringend wäre auch eine Anbindung für Zweiräder von Dettingen nach Kirchheim bis zum Gaiserplatz, doch die kommt derzeit nicht über die Polizeistation an der Dettinger Straße hinaus. Grund: Ab da gibt es keinen Platz für einen Fahrradstreifen – und das bei hohem Verkehrsaufkommen. 

Gefragt sind pragmatische Lösungen wie Fahrradstraßen: zum Beispiel auf der Bismarckstraße vom Teckkeller bis zur Dettinger Straße und dann ins Zentrum. „Da müssen wir noch mit den Bürgern reden, weil wahrscheinlich Parkplätze auf mindes­tens einer Seite wegfallen werden.“ Aber so ist es nun mal beim Ausbau der Radinfrastruktur: Irgendjemand wird immer einen Einwand haben.

Für den Mentalitätswechsel pro Fahrrad hat Günter Riemer auch an seinem Dienstsitz ein weiteres Indiz: Der „Fahrradkäfig“ in der Tiefgarage des technischen Rathauses muss vergrößert werden, dafür fallen nun drei Autostellplätze weg. In Kirchheim werden jährlich für 30 000 bis 40 000 Euro Fahrradstellplätze geschaffen – und die seien voll. „Radfahrer haben heute ein positives Image“, sagt er, „als ich in den 70er-Jahren von Notzingen zur Schule nach Kirchheim mit dem Fahrrad fuhr, war ich ein Exot.“ Das dürfte auf den Autor und seine ​​​​​​Anfahrt zur Arbeit auch zutreffen: In den 70ern hätte für die Zweiradtour von Esslingen nach Kirchheim als „Fahrrad-Nerd“ gegolten – was damals wohl „Spinner“ geheißen hätte. 

 

Umsatzrekord bei Fahrrädern und E-Bikes

Eine Umfrage der deutschen Förderbank KfW hat ergeben, dass etwa 54 Prozent der Befragten sich vorstellen können, das Fahrrad häufiger zu nutzen, wenn eine bessere Infrastruktur wie Radwege, Leihräder und sichere und trockene Abstellplätze zur Verfügung stünden. Eine bessere Verknüpfung mit dem ÖPNV wäre für 45 Prozent ein wichtiger Anreiz. Die Angaben gelten fast gleichermaßen für Bewohner auf dem Land und in der Stadt.

Der Verkauf von Fahrrädern und E-Bikes hat im vergangenen Jahr wieder für Rekorde gesorgt: Betrug der Umsatz 2012 noch rund 2 Milliarden Euro, waren es 2022 rund 7,36 Milliarden Euro, damit hat er sich in zehn Jahren fast vervierfacht.

Fachpersonal für die Entwicklung des Rad- und Fußverkehrs braucht es nach Meinung des Ersten Bürgermeisters Günter Riemer in den kommunalen Behörden, um diesem Bedarf gerecht zu werden. Dabei seien vor allem Verkehrsplaner und Geo­grafen gefragt. zap