Kirchheim
Fiebersaft-Mangel hält Eltern auf Trab

Gesundheit Fiebersaft ist seit Monaten Mangelware. Die hohe Zahl an Infekten lässt die Nachfrage weiter steigen. Auch andere Medikamente sind knapp. Von Antje Dörr

Die Suche nach fiebersenkenden Medikamenten kostet Eltern Zeit und Nerven – und das in einem Herbst, in dem viele Kinder nach dem Ende der meisten Pandemie-Maßnahmen Infekte nachholen und dauernd krank sind. Seit dem Sommer schon berichten Apotheken von Lieferengpässen, auch in Internet-Apotheken waren Fiebersaft und -zäpfchen zeitweise ausverkauft. Der Teckbote hat exemplarisch bei Apotheken in Kirchheim und Umland nachgefragt.

 

Es ist völlig unberechenbar.
Apotheker Andreas Herbster über Fiebersaft-Lieferungen

 

Die „Apotheke im Ärztezentrum“ in Kirchheim ist für viele Eltern erste Wahl, die ein Rezept der dortigen Kinderarztpraxis einlösen wollen. Entsprechend groß ist die Nachfrage nach fiebersenkenden und schmerzstillenden Medikamenten. Seit dem Sommer müssen die Mitarbeiter Eltern immer wieder wegschicken, so auch im Moment. „Wir haben überhaupt keinen Fiebersaft und keine Paracetamol-Zäpfchen für Säuglinge mehr“, sagt Ann-Kathrin Pflüger bedauernd. Die Apothekerin weiß, wie dramatisch das für Eltern ist, deren Babys aufgrund eines Infekts oder einer Impfung hohes Fieber bekommen. Ändern kann sie es nicht. „Anfangs haben wir versucht, uns mit Fiebersaft einzudecken, aber wir verkaufen 20 Flaschen am Tag. So einen Vorrat kann man gar nicht anlegen“, sagt sie. Hawa Güven, pharmazeutisch-kaufmännische Angestellte (PKA) in der „Apotheke im Ärztezentrum“, telefoniert den Herstellern täglich hinterher. Antworten auf die Frage, wann Nachschub kommt, erhält sie nicht. Dafür falle jedes Mal das gleiche Stichwort: „Rohstoffmangel“. Betroffen seien nicht nur Fiebersaft, sondern viele Medikamente, sagt Güven. Auch Antibiotika oder Elektrolyt-Lösungen, die bei Magen-Darm-Infekten eingenommen werden können, seien knapp.

„Es ist ein täglicher Kampf“, sagt auch Andreas Herbster, Inhaber der „Apotheke Lenningen“, wenn man ihn zu der Medikamenten-Knappheit befragt, die längst nicht nur die Schmerzmittel für Kinder betrifft. Zu Beginn der Fiebersaft-Knappheit hat die Apotheke das Medikament noch selbst hergestellt – ein aufwändiges Prozedere, für das Herbster mittlerweile weder Personal noch Zeit mehr hat. Niedrig dosierte Paracetamol-Zäpfchen für Säuglinge hat Herbster noch genug. „Da haben wir uns ordentlich eingedeckt“, sagt er. Ibuprofen-Fiebersaft kann er aktuell gar nicht mehr anbieten, Paracetamol-Saft auch nur noch wenig. „Es ist völlig unberechenbar“, sagt er. „Eigentlich ist Fiebersaft aktuell überhaupt nicht lieferbar, aber dann kommen doch plötzlich zehn Flaschen“. Ende des Monats sollen angeblich wieder Säfte mit Ibuprofen auf den Markt kommen. Sorge bereitet Herbster jedoch auch die Knappheit bei anderen Medikamenten. Als Beispiele nennt er lebenswichtige Präparate wie Cholesterin-Senker. Auch Säureblocker für den Magen seien immer wieder ausverkauft.

In der „Adler-Apotheke“ in Kirchheim sind Fiebersaft und Zäpfchen aktuell vorrätig. „Anfangs hatten wir auch Probleme, die Nachfrage zu bedienen. Jetzt hat sich die Lage wieder etwas entspannt“, sagt Apothekerin Franziska Franke. Allerdings sind auch in der Kirchheimer Innenstadt-Apotheke viele andere Medikamente knapp. „Hochdosiertes Penicillin gibt es gerade gar nicht mehr“, sagt Franke. Das Antibiotikum wird beispielsweise bei hartnäckigen Infekten benötigt. In diesem Fall muss die Apotheke mit dem Arzt Rücksprache halten, ob Dosierung oder Wirkstoff verändert werden können – ein aufwändiger Vorgang. „Wir haben bisher immer eine Lösung gefunden“, sagt auch Ann-Kathrin Pflüger von der „Apotheke im Ärztezentrum“. „Aber es ist halt immer mit Herumtelefonieren, Ärzte-Nerven und Rezepte-Ändern verbunden.“ Beim Fiebersaft für Kinder hingegen bleibt Eltern nichts anderes übrig, als Apotheken abzuklappern.

Warum der Fiebersaft alle ist

Im Zusammenhang mit der eingeschränkten Verfügbarkeit von Fiebersäften für Kinder mit den Wirkstoffen Paracetamol und Ibuprofen hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte Ursachenforschung betrieben. Ein Teilnehmer habe sich vom Markt zurückgezogen, dazu gebe es eine „Verteilproblematik“. Die Warenmengen, die auf den Markt gekommen seien, repräsentierten jedoch in Summe den bisherigen durchschnittlichen Bedarf. Allerdings sei die Nachfrage 2022 stark angestiegen.

Lieferengpässe, nicht nur bei Fiebersaft, sondern bei vielen Medikamenten gebe es seit etlichen Jahren, sagt Christian Splett, Pressesprecher bei der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände. Das liege unter anderem am Kostendruck im Gesundheitswesen. „Die Hersteller lassen nicht mehr in Europa produzieren und müssen die Wirkstoffe aus Indien und China beziehen. Wenn in Fernost eine Fabrik die Qualitätsstandards nicht erfüllt oder ein Frachtschiff im Hafen nicht abfahren kann, dann geraten die Lieferketten durcheinander“, sagt Splett. Die Herstellung von Wirkstoffen sei weitestgehend monopolisiert. „Es muss nur eine Fabrik ausfallen, und mehrere Hersteller können nicht mehr produzieren.“

Die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände fordert deshalb, dass die Apotheken vor Ort mehr selbst entscheiden dürfen und beispielsweise bei Bedarf Medikamente tauschen können. „Während Corona wurde eine Arzneimittelversorgungsverordnung verabschiedet. Wir brauchen das aber als permanentes Mittel“, sagt Splett. So könne der Medikamenten-Mangel besser organisiert werden.  Antje Dörr