Kirchheim
Flüchtlingskrise: Ruf nach Solidarität wird lauter

Krise Die Zahl der Flüchtlinge steigt und der Landkreis Esslingen stößt so langsam an seine Kapazitätsgrenzen. Landrat Heinz Eininger schließt die Belegung von Sporthallen nicht mehr aus. Von Martin Mezger

Esslingens Oberbürgermeister Matthias Klopfer macht erst mal die Angela: „Wir schaffen das.“ Doch anders als die Ex-Kanzlerin Merkel klärt er postwendend, wer das ominöse Wir ist: „die ganze kommunale Familie“. Sprich: der Kreis Esslingen und alle in ihm enthaltenen Städte und Gemeinden. In kommunaler Solidarität, so der Oberbürgermeister, werde man trotz stark anwachsender Flüchtlingszahlen die Unterbringung der Menschen hinkriegen. Doch der Solidarität haben offenbar die Alarmsignale vorauszugehen, und die sendete bei einer Pressekonferenz der Esslinger Landrat Heinz Eininger in aller Deutlichkeit aus.

 

Ab nächster Woche werden Flüchtlinge den Kommunen zugewiesen.
Heinz Eininger
Landrat

 

Zur Lage im Landkreis: 6000 ukrainische Flüchtlinge sind seit Beginn des russischen Angriffskriegs im Februar aufgenommen worden, teilt der Landkreis mit – knapp die Hälfte, nämlich 2800, sind privat untergekommen. Aber auch die Unterbringung von 3200 Flüchtlingen innerhalb weniger Monate führe an die Grenze der Kapazitäten, die nunmehr ausgeschöpft seien, sagt Eininger. Zumal eben die Zahlen stark ansteigen, und zumal zu den Menschen aus der Ukraine die Geflohenen aus anderen Ländern hinzukommen: derzeit laut Landrat 120 pro Monat, dazu 400 aus der Ukraine, insgesamt also über 500 Menschen – mehr als doppelt so viele wie in den Vormonaten.

Bei der vorläufigen Unterbringung, für die nach der Erstunterbringung durch das Land die Kreise zuständig sind, geht laut Eininger nichts mehr. Um Quartiere freizubekommen, müsse der Kreis bei der Anschlussunterbringung „von kommender Woche an Flüchtlinge konsequent den Städten und Gemeinden zuweisen“, sagt der Landrat. Denn nicht alle Kommunen hätten ihre gesetzliche Verpflichtung zur Aufnahme von Flüchtlingen in die Anschluss­unterbringung erfüllt. Eine Pufferung, bei der Flüchtlinge länger als geplant in vorläufigen Unterkünften bleiben, sei aus besagten Gründen nicht länger möglich. Man habe den Kommunen auf diese Weise bereits etliche Zeit zum Handeln verschafft.

Eininger kann laut eigenen Worten nicht mehr ausschließen, dass die Kommunen bei der Zuweisung von geflüchteten Menschen – nach derzeitigem Stand insgesamt 120 bis 125 pro Woche – künftig auch Sport- und Festhallen belegen sowie Container oder sogar Zelte aufstellen müssen. Die Situation sei dramatischer als in den Jahren 2015/16.

Übererfüllt hat ihr Soll die Stadt Esslingen, die rund 1600 Geflüchtete in der vorläufigen und ebenso viele in der Anschlussunterbringung aufgenommen hat – ein Ungleichgewicht, das Rathauschef Klopfer nicht länger hinnehmen will. „Wir haben 17 Prozent der Einwohner des Kreises, aber 78 Prozent der ukrainischen Geflüchteten“, rechnet er vor. In der Pliensauvorstadt etwa seien bereits zehn Prozent der aktuellen Bewohner Flüchtlinge. In der gesamten Stadt könnten Verwaltung und soziale Einrichtungen die zusätzliche Belastung kaum tragen.

Für die Kitas, wo ohnehin 60 Erzieherstellen unbesetzt seien und die Wartelisten länger würden, sei die Aufnahme geflüchteter Kinder eine zusätzliche Herausforderung. Und im Bereich Integrationsmanagement seien in der Stadtverwaltung fünf Stellen unbesetzt. Die Finanzierung des Integrationsmanagements über 2022 hinaus lasse das Sozialministerium bislang offen, rügte Eininger. Ebenso scharf kritisierte er den „Übergang der ukrainischen Flüchtlinge vom Asylbewerberleistungsgesetz ins Sozialgesetzbuch“. Die höheren Leistungen nach Hartz IV lösten eine binneneuropäische „Sekundärmigration“ aus, weil Geflüchtete in Deutschland mehr Geld vom Staat als in Polen für Arbeit erhielten.