Kirchheim
Freilerner sind weiterhin aktiv

Corona Schulgegner betreuen trotz Behörden-Clinch Kinder in der Ötlinger Halde. Von Antje Dörr

Kirchheim. Masken im Unterricht, Selbsttests, Abstand halten – was während der Corona-Pandemie zum Alltag der allermeisten Schülerinnen und Schüler gehörte, ist Geschichte. Aus Protest gegen diese Maßnahmen hatte sich zu Beginn der Corona-Pandemie im Landkreis Esslingen und anderswo innerhalb der Querdenker-Szene, der auch Reichsbürger angehören, eine „Freilerner“-Bewegung gegründet. In Kirchheim, auf einem Wiesengrundstück in der Ötlinger Halde, wurden schulpflichtige Kinder zur Unterrichtszeit betreut. Dann endeten die Corona-Maßnahmen, viele Kinder kehrten in die Schulen zurück. Was ist aus den „Freilernern“ geworden?

Bis zu den Weihnachtsferien jedenfalls war vormittags Betrieb auf dem Wiesengrundstück in der Ötlinger Halde. Das berichten Beobachter. Nach den Ferien waren Kinder und Betreuer plötzlich verschwunden, tauchten später in unregelmäßigen Abständen wieder auf. Aufgelöst hat sich die Gruppe jedoch nicht. Offenbar haben die Freilerner rund um die Ex-Waldorfschul-Lehrerin Anna Ohlendorf-Kist für die kalte Jahreszeit ein Haus angemietet. Im Frühling soll das Grundstück in Ötlingen, das Kist gehört, wieder regelmäßiger genutzt werden.

Währenddessen bleibt rätselhaft, wer die Kinder sind, die trotz des Wegfalls aller Corona-Maßnahmen immer noch nicht zur Schule gehen. Diese Frage kann auch in den Schulämtern Nürtingen und Göppingen niemand beantworten. Die Leiterin des Nürtinger Schulamts, Dr. Corina Schimitzek, teilt auf Anfrage mit, dass keine Schüler mehr fehlten, „die eventuell in Ötlingen waren“. Auch der Chef des Göppinger Schulamts, Jörg Hofrichter, hat im laufenden Schuljahr von den Schulen seines Bezirks keine Meldungen über längeres unentschuldigtes Fehlen mehr erhalten. Überhaupt hätten zu keinem Zeitpunkt belastbare Meldungen vorgelegen, dass Kinder den Lernort in Ötlingen besuchten, sondern nur Vermutungen. Bei der Waldorfschule in Kirchheim vermisst man ebenfalls keine Schüler mehr. 

Das Ignorieren der Schulpflicht ist das eine, der Verstoß gegen bau- und naturschutzrechtliche Vorschriften das andere. Seit über einem Jahr befinden sich Stadt und Landratsamt im Clinch mit der Besitzerin des Grundstücks, weil dort unerlaubt gebaut wurde – und das im Landschaftsschutzgebiet. Doch die bürokratischen Mühlen mahlen extrem langsam – ein Umstand, der den Freilernern natürlich in die Hände spielt. Gegen die sogenannte Beseitigungsanordnung, die Stadt und Landkreis im Mai 2022 ausgesprochen hatten  – also die Aufforderung, alle baulichen Veränderungen rückgängig zu machen –, hatte die Besitzerin im Juni Widerspruch eingelegt. 

Ob diese rechtens ist oder nicht, damit beschäftigt sich jetzt das Regierungspräsidium (RP) Stuttgart. Eine Entscheidung stehe jedoch noch aus, teilt die Behörde auf Anfrage mit. Sollte das RP entscheiden, dass der Widerspruch nicht rechtens ist – die Stadt Kirchheim also recht hatte mit der Aufforderung, die Schwarzbauten auf dem Wiesengrundstück zu beseitigen –, ist die Sache möglicherweise immer noch nicht erledigt. Die Besitzerin könnte beim Verwaltungsgericht Stuttgart klagen und im Fall einer Niederlage Berufung beim VGH Baden-Württemberg einlegen. „Erst wenn unser Bescheid rechtskräftig ist, kann eine Vollstreckung anlaufen, zunächst durch Androhung und Festsetzung eines Zwangsgelds“, sagt der Sprecher der Stadt Kirchheim, Robert Berndt. Eine Räumung durch die Stadtverwaltung sei erst möglich, wenn wirklich alle Mittel ausgeschöpft seien – und stehe aktuell also noch in weiter Ferne.