Kirchheim

Hatte Hesse wirklich Humor?

Gerhard Polacek liest humoristische Texte von Hermann Hesse

Kirchheim. Hier lernt man einmal wieder: Bei einem Schriftsteller sollte man sich an sein Werk halten und nicht an seine Selbsteinschätzung. Hesse hat in seine von ihm selbst zusammengestellten Werkausgaben kaum einen Text mit speziell humoristischen Elementen aufgenommen. Das Bild vom humorlosen Autor entspricht auch der allgemeinen Wahrnehmung der zeitgenössischen Leserschaft, so hat Kurt Tucholsky Hermann Hesse den Humor abgesprochen. Auch heutige Leser sehen das meist so, wahrscheinlich auch in Kirchheim. Die Kirchheimer haben ein inniges Verhältnis zu Hesse, siehe Literaturmuseum, und füllen in einer sonntäglichen Matinee restlos den Schulsaal des Max-Eyth-Hauses.

Gerhard Polacek hat auf Einladung des Literaturbeirats mit Hessetexten das gängige Vorurteil widerlegt. Er stützt sich auf eine Textsammlung von 1986, ein Suhrkampband mit dem Titel „Bericht aus Normalien“. Der Schauspieler und Rezitator ist gebürtiger Österreicher, schon seit langer Zeit integrierter Esslinger und in Kirchheim kein Unbekannter. Vier Geschichten und einige Gedichte hat Polacek ausgewählt.

Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Der Humor hilft den Zwiespalt zwischen den idealen Vorstellungen und der Wirklichkeit hinzunehmen. Hesse hat in seiner Geschichte „Autorenabend“ eigene Erfahrungen bei Lesungen verarbeitet und satirisch zugespitzt. Ein Autor kommt in einer Kleinstadt an, um eine Lesung aus seinen Werken abzuhalten. Er muss aber erfahren, dass sein Gast- und Quartiergeber keine Ahnung von Literatur und von Lesungen hat. Das Wohnambiente ist von opulenter Spießigkeit geprägt. Nur das Essen schmeckt. Die Lesung ist kümmerlich besucht, viel zahlreicher eine Veranstaltung mit „Biermusik“ eine Etage darunter, die gewaltig stört. Ein Riesenpapagei in der Wohnung des Gastgebers bringt die Gefühle des Autors mit dem einzigen Wort, das er spricht, auf den Punkt „ O Gott ogott ogott“.

Die Geschichte „Schwäbische Parodie“ ist eine Persiflage auf gewisse Publikationen lokalpatriotischer Historiker, die hinter der Fassade hochtrabender Gelehrsamkeit akademische Schildbürgerstreiche absondern: eine ad absurdum geführte Heimatkunde. Es ist unglaublich, welche Bedeutung das „Knörzeltal“ hat.

Gerhard Polaceks erklärte Lieblingsgeschichte ist „Wenn der Krieg noch zwei Jahre dauert“. Hier beweist Hermann Hesse die Fähigkeit, sogar absurd-irreale Texte zu schreiben. Er lässt einen Ich-Erzähler nach zweijähriger Abwesenheit heimkommen. Es herrscht globaler Krieg. Durch einen harmlosen Spaziergang gerät er als Zivilist in die Mühlen der Verwaltung und der Gerichtsbarkeit. Schließlich will er nichts als sterben, doch dafür fehlt ihm die „Sterbekarte“. Er erfährt, dass der absurde Verwaltungsaufwand nur wegen des Krieges betrieben wird. Diese 1917 geschriebene Geschichte weist Hesse als engagierten Pazifisten aus.

Nach Kostproben aus humorigen Gedichten, die sich mehr mit Alltagsproblemen herumschlagen, schließt die Lesung mit einer Geschichte, in der das Fazit gezogen wird, dass sportliche Erfolge, und seien sie noch so abwegig, schneller prominent machen und einen schnelleren Ertrag bringen als die Produktion von Literatur („Abstecher in den Schwimmsport“).

Polaceks bedächtige Art des Lesens gibt dem Zuhörer Zeit, die satirischen Pointen zu genießen. Nach seiner Lesung verschiebt sich vermutlich das Hessebild bei so manchen Zuhörern. Bei genauem Hinsehen finden sich auch in den Romanen Hesses die Hochschätzung des Humors und der Selbstironie. Im „magischen Theater“ des „Steppenwolfs“ heißt es: „Aller hoher Humor fängt damit an, dass man die eigene Person nicht mehr so ernst nimmt“.