Kirchheim
Hilfe für die Vergessenen

Senioren Während in Heimen geimpft wird, sind viele Ältere zu Hause auf sich allein gestellt. Ehrenamtliche in den Gemeinden stehen für Versäumnisse der Politik ein. Von Bernd Köble

Mehr als 35 000 Menschen im Kreis Esslingen sind älter als 80 Jahre und zählen damit zu der Personengruppe, die als erstes gegen das Coronavirus geimpft werden soll. Knapp 4000 davon sind stationär in Heimen untergebracht, wo seit Freitag mobile Impfteams im Einsatz sind. Doch was ist mit dem Rest? All diejenigen, die alleine und ohne fremde Hilfe in den eigenen vier Wänden leben und weder über Handy noch über einen Internetanschluss verfügen. Während es zurzeit keinen Impfstoff-Nachschub und damit auch keine Termine gibt, versucht man in den Kommunen mit unbürokratischer Hilfe die Lücke zu schließen, die die Politik übersehen hat.

Im Kirchheimer Rathaus liefen zu Wochenbeginn die Drähte heiß. Am Mittwoch zuvor hatte die Stadt alle über 80-Jährigen, die nicht in Heimen leben, angeschrieben und Hilfe angeboten. Über die Hotline 5 02-3 33 leistet ein sechsköpfiges Rathaus-Team an vier Tagen in der Woche kostenlose Unterstützung im Kampf um einen Impftermin. Für all jene, die einen Termin haben, aber keine Angehörigen, die sie in eines der beiden Impfzentren im Kreis begleiten, organisiert die Stadt gemeinsam mit dem Verein „buefet“, dem Bürgernetz Nabern und Rettungsdiensten auch Fahrten.

Das Echo ist gewaltig. Bis Wochenmitte gingen mehr als 250 Anrufe ein. Von 170 Senioren wurden bis gestern bereits die Daten erfasst. Für sie wird ein Impftermin vereinbart, sobald es wieder neuen Impfstoff gibt. Nicht jeder der Anrufer ist auf der Suche nach einem konkreten Angebot. Manche wollen sich nur informieren. Über das Prozedere beim Impfen oder welche Kosten des Transports die Pflegeversicherung übernimmt. Andere wollen auch einfach ihren Ärger loswerden. „Generell nehmen wir aber eine große Dankbarkeit wahr“, sagt der Sprecher der Stadt, Robert Berndt.

„Wir sind im Prozess“

Was in Kirchheim bereits läuft, ist in vielen Gemeinden rund um die Teck im Entstehen. „Wir sind im Prozess“, sagt Gabriele Riecker, die im Verein „Unser Netz“ im Lenninger Tal zahlreiche Alltagshilfen für Senioren koordiniert. Weil viele ihrer Kunden wissen, dass es zurzeit ohnehin keinen Impfstoff gibt, hält sich der Andrang in Grenzen. Dennoch wollen sie und ihre ehrenamtlichen Helfer gewappnet sein, wenn es in wenigen Wochen, wie sie hofft, richtig losgeht. Bis zu 20 Fahrer übernehmen im Netzwerk im Täle üblicherweise Einkaufs- und Krankenfahrten für die, die nicht mobil sind. Wenn wieder Impftermine zu haben sind, werden auch sie die beiden Kreisimpfzentren in Esslingen und am Flughafen ansteuern.

Was Gabriele Riecker Kopfzerbrechen bereitet: Viele ihrer Mitglieder sind mental und körperlich gar nicht in der Lage, die Reise auf sich zu nehmen. Deshalb hofft sie, dass die mobilen Impfteams, die sich zurzeit auf Heimbewohner beschränken, irgendwann auch in Gemeinden zum Einsatz kommen werden oder Hausarztpraxen möglichst rasch die Versorgung übernehmen können. Doch dafür müsste genügend Impfstoff im Umlauf sein, der sich bei normalen Kühlschranktemperaturen lagern lässt.

Impfen gegen die Einsamkeit

Eine Sorge, die auch Rudi Dölfel bewegt. Der Vorsitzende des Forum Altern in Dettingen steht in Kontakt mit 408 Mitgliedern. 183 davon sind über 80 Jahre alt. Bis auf wenige Ausnahmen wären sie bereit, sich impfen zu lassen. Doch auch Dölfel weiß: Für mehr als 40 davon, die bereits über 90 sind, kommt eine solche Reise gar nicht infrage. Sein Vorschlag, mit dieser Klientel ans mobile Impfteam in der Dettinger Pflege- insel anzudocken, ist im Landratsamt bisher auf Ablehnung gestoßen. Unter den Forums-Mitgliedern sind auch Ärzte, die bereit wären, eine solche Aktion zu unterstützen. Für Dölfel geht es beim Thema Impfen nicht immer um Leben und Tod, sondern auch um die schlichte Frage: Wann können wir wieder zusammenkommen? Gemeinsame Treffen, Aktivitäten, Gespräche beim Mittagessen, das alles gibt es nicht mehr. Es ist auch ein Kampf gegen die Einsamkeit, den die Pandemie heraufbeschwört. Einmal im Monat fahren die Helfer jetzt von Tür zu Tür und verteilen Kuchen - allein, um in Kontakt zu bleiben.

Wohl dem, der Angehörige hat. Das sind viele, aber eben längst nicht alle, das weiß auch Rosemarie Bühler vom Sozialen Netz im Raum Weilheim. Auch bei ihr können sich Hochbetagte melden, die auf dem Weg zu einem Impfter- min nicht weiter wissen. Mit den meisten steht der Verein ohnehin regelmäßig in Kontakt. Doch auch wer kein Mitglied ist und bisher das Angebot noch nicht genutzt hat, muss Bühler zufolge nicht befürchten, abgewiesen zu werden. Sie sagt: „Wir sind als Beratungsstelle für alle da.“