Sexueller Missbrauch ist ein Thema, das in der Öffentlichkeit angekommen ist. Ein Beispiel: der Fall des früheren Fußballnationalspielers Christoph Metzelder. Der Fußballer, der 2006 die „Stiftung Zukunft Jugend“ gründete, um damit Kinder und Jugendliche auf ihrem schulischen und persönlichen Lebensweg zu begleiten, steht jetzt unter Verdacht, einer anderen Person kinderpornografische Schriften verschafft sowie auch selbst besessen zu haben.
Doch es gibt nicht nur prominente Fälle. Sexueller Missbrauch geschieht im sozialen Umfeld der Kinder, in der engsten Familie, in Vereinen, in der Nachbarschaft. Laut Kriminalstatistik gab es bundesweit 2019 etwas mehr als 4000 Fälle von Kindesmisshandlung - ähnlich viel wie im Vorjahr. Vermehrt kam es jedoch zu sexueller Gewalt an Kindern. Hier verzeichnet die Statistik knapp 16 000 Fälle und damit über 1300 mehr als 2018. Noch stärker angestiegen sind die Fälle von Kinderpornografie: Die Zahl der erfassten Delikte erhöhte sich um etwa 65 Prozent auf mehr als 12 200.
Die Beratungsstelle Kompass Kirchheim definiert sexuellen Missbrauch „als jede sexuelle Handlung, die an oder vor einem Kind oder Jugendlichen entweder gegen den Willen des Kindes vorgenommen wird oder der das Kind aufgrund körperlicher, psychischer, kognitiver oder sprachlicher Unterlegenheit nicht wissentlich zustimmen kann. Der Täter nutzt seine Macht- und Autoritätsposition aus, um seine eigenen Bedürfnisse auf Kosten des Kindes zu befriedigen“.
Professor Jost Bauer hat die Kirchheimer Beratungsstelle und den dazugehörigen Verein vor 30 Jahren mitbegründet. Der mittlerweile 82-Jährige war als Jurist tätigt und an der evangelischen Hochschule Ludwigsburg Professor für Recht der Sozialpädagogik mit dem Arbeitsschwerpunkt Kinder- und Jugendhilfe.
Bis vor Kurzem war er als zweiter Vorsitzender bei Kompass, nun zieht er sich aus der aktuellen Arbeit von Kompass zurück und tritt ein wenig kürzer. Seine Aufgabe bei Kompass sah er darin, „ein Versuch der Enttabuisierung hin zu einer Kultur des Hinschauens“ zu schaffen. Im Vordergrund der Beratungsarbeit stand und steht die Unterstützung Betroffener, aber auch Beschuldigter. Das Aufgabenspektrum der Fachkräfte der Kompass-Beratungsstelle beinhaltet darüber hinaus Beratungs- und Fortbildungsangebote für Fachkräfte unterschiedlicher Berufsgruppen sowie verschiedene Präventionsangebote. Professor Jost Bauer war es immer wichtig, das Thema „raus aus der dunklen Ecken zu bekommen und zu enttabuisieren“. Denn wenn sexuelle Übergriffe im öffentlichen Raum stattfinden würden, dann sei es kein Tabu-Thema, aber wenn dies innerhalb der Familie geschehe, wären massive Scham und Schuldgefühle aufseiten der Kinder und Mädchen vorhanden.