Kirchheim
Identitätsklau: Wer soll das bezahlen?

Betrugsmasche Kriminelle nutzen das Internet, um unter fremdem Namen Waren zu bestellen, die sie anschließend abfangen. Derjenige, dessen Daten missbraucht wurden, hat einige Zeit später viel Ärger am Hals. Von Andreas Volz

Schlimm genug, wenn sich ein Inkasso-Unternehmen meldet. Noch schlimmer ist es, wenn das aus heiterem Himmel kommt: Man soll für eine Ware bezahlen, von der man überhaupt nichts weiß. Wäre die Ware da, gäbe es ja immerhin einen Gegenwert. Man könnte sie zurückgeben, und die Forderung wäre erledigt. Stattdessen aber ist die Faktenlage erdrückend: Name, Adresse, Geburtsdatum, Konto- und Ausweisnummern sowie weitere persönliche Daten sind vollkommen richtig und stimmig.

Wie kann es zu so etwas kommen? Das Internet macht es Betrügern leichter, sich eine fremde Identität anzueignen. Wo die elektronische Eingabe von Daten genügt, um etwas zu bestellen, wird die Nachverfolgung schwierig. Zudem nutzen die Betrüger oft die Möglichkeit, die Ware an eine Packstation liefern zu lassen. Anonymisiert können sie das Paket abholen - und sind längst über alle Berge, bevor das Unternehmen, das die Ware verschickt hat, auch nur daran denkt, der Rechnung eine Mahnung folgen zu lassen.

Was tun, wenn man Opfer eines solchen Betrugs wird - wenn man sich Geldforderungen gegenübersieht, die aus eigener Sicht völlig unberechtigt sind, nicht aber aus Sicht der Gegenpartei? Die Bestellung scheint ja korrekt erfolgt zu sein, und auch die Ware wurde korrekt geliefert. „Bei Bestellvorgängen oder Einkäufen im Internet handelt es sich zunächst einmal um eine zivilrechtliche Angelegenheit unter den jeweiligen Vertragspartnern“, stellt Amelie Härd­ter von der Stabsstelle Öffentlichkeitsarbeit des Polizeipräsidiums Reutlingen fest.

Bei Problemen solle man sich also zuerst an das Unternehmen wenden und vielleicht auch die Hilfe eines Anwalts in Anspruch nehmen. Weitere Empfehlungen: „Hilfestellung und Auskünfte bieten auch Verbraucherzentralen an. Liegt der Verdacht eines Betruges vor, kann man sich an die nächste Polizeidienststelle wenden.“

Erschwerte Ermittlungen

Die Polizei kann wegen des Betrugs als solchem, der eine Straftat darstellt, ermitteln. Ein Problem, das Amelie Härdter für solche Fälle beschreibt: „Die Ermittlung von Tätern wird durch die Anonymisierungs- und Verschleierungsmöglichkeiten, die das Internet bietet, erschwert.“

Im Prinzip verfolge die Polizei den Weg des Geldes nach: „Dabei stellen wir fest, dass oft unbedarfte Dritte als sogenannte Finanz­agenten zwischengeschaltet sind, die Vermögenswerte - auch Waren - ins Ausland transferieren und sich damit ebenfalls strafbar machen.“ Nähere Angaben darüber, wie die Polizei solchen Betrügern auf die Spur kommt, seien aus ermittlungstaktischen Gründen allerdings nicht möglich.

Bei der Polizei wird der Identitätsdiebstahl nicht als eigenständiger Begriff geführt. Ein Fall wie der eingangs geschilderte zählt zum „Warenkreditbetrug“: Eine Ware wird geliefert, aber es erfolgt keine Bezahlung. Auch den umgekehrten Fall kann es geben: Jemand leistet eine Vorauszahlung, erhält anschließend aber keine Ware. Das nennt sich dann „Warenbetrug“. In der polizeilichen Statistik wird aber nicht zwischen „Warenbetrug“ und „Warenkreditbetrug“ unterschieden.

Insgesamt gibt es im Bereich des Polizeipräsidiums Reutlingen, zu dem die Landkreise Reutlingen, Tübingen und Esslingen sowie seit 2020 auch der Zollernalbkreis gehören, jährlich mehr als 2 000 solcher Fälle. Die Statistik schwankt zwischen 2 111 und 2 366 Fällen für die Jahre 2016 bis 2019. Die Schadenssumme hat keinen direkten Bezug zur Zahl der Schadensfälle: Sie liegt zwischen 1,4 und 2,8 Millionen Euro im Jahr.

Erfreulich ist die Tatsache, dass die Zahl der Fälle bislang rückläufig ist. Sie nehmen also ab. Weniger erfreulich: Auch die Aufklärungsquote ist rückläufig. Lag sie 2016 noch bei 85,4 Prozent, kommt sie 2019 nur noch auf 73,0 Prozent. Für das Jahr 2020 teilt Amelie Härd­ter mit: „Tendenziell setzt sich der rückläufige Trend der Fallzahlen bei annähernd gleichbleibender Aufklärungsquote fort. Ob der sich abzeichnende, rückläufige Trend auf die Corona-Pandemie zurückgeführt werden kann, ist statistisch nicht belegbar.“ Denkbar wäre ja auch der umgekehrte Fall: Wenn wegen der Pandemie immer mehr Ware direkt zum Kunden geliefert wird, könnte die Zahl der Betrugsfälle durchaus auch steigen.