Kirchheim
Im Kirchheimer Campus Rauner ist Raufen erwünscht

Bildung Kontrolliert Energie und Aggressionen abbauen können Jungen der 6. Klasse in einem Programm im Campus Rauner. Finanziert wird das Ganze vom Aktionsbündnis „Starkes Kirchheim“.  Von Thomas Zapp

Das Knie hoch, Bein strecken und zutreten: Auf dem Schulhof würde die Lehrerin oder der Lehrer wohl sofort dazwischen gehen, wenn ein Junge derart seinen Mitschüler angreifen würde. Doch in der Turnhalle des Campus Rauner in Kirchheim ist das anders: Frieder Knaus animiert die Jungs aus der 6. Klasse der Teckrealschule und Gemeinschaftsschule, genau das zu tun, ihre überschüssige Kraft in Schläge, Tritte und Kniestöße umzusetzen. Freilich landen sie auf einem Handschlagpolster, nicht auf dem Körper des Trainers. Verletzen soll sich hier niemand, weder Schüler noch Lehrer.

Finanziert wird der schulische Spezialeinsatz des Kampfsportlers, der in Kirchheim die Sportschule „Kunst & Kampf“ betreibt, vom Aktionsbündnis „Starkes Kirchheim“. Der Auslöser für die Aktion war – wieder einmal –die Corona-Krise und die Verordnungen mit Kontaktbeschränkungen, Schulschließungen und anderen Limitationen. „Gerade Jungs brauchen das körperliche Aktivwerden und das spielerische Erleben ihrer Kräfte“, sagt Michaela Göhler-Bald, Mitglied bei „Starkes Kirchheim“. Die Mutter eines 19-jährigen Sohnes weiß aus eigener Erfahrung, wie wichtig es gerade für männliche Heranwachsende ist, ihre Kräfte auszuprobieren.

 

„Gerade Jungs brauchen das Aktivwerden und das spielerische Erleben ihrer Kräfte.
Michaela Göhler-Bald
Mitglied bei „Starkes Kirchheim“

 

Bewegungsmangel als Folge des Lockdowns hat nicht nur zufolge, dass es auch nach dem Ende des Homeschoolings bis heute auf dem Schulhof vermehrt zu Aggressionen kommt, die aus „Spaßkämpfen“ entstehen, wie Schulsozialarbeiterin Katja Schuler berichtet. „Wir beobachten auch, dass sich während der Schulschließung die Gruppenbildung verstärkt hat“, sagt sie. Der Austausch habe gefehlt, man habe sich stärker gegen andere abgegrenzt. Als der Unterricht dann wieder stattfand, habe es einen stärkeren Bedarf gegeben, sich körperlich miteinander zu messen. Phänomene wie starker Medienkonsum und Bewegungsarmut kommen hinzu. „Das sind keine neuen Probleme, Corona ist da wie eine Lupe“, sagt sie. Das „Raufen“ ist tatsächlich reine Jungensache, derweil kümmert sich Katja Schuler im Hallenteil nebenan um die Mädchen, macht mit ihnen Übungen zu Selbstbehauptung und Abgrenzung.

„Diese Berichte haben uns veranlasst, das Projekt zu starten und den Jungs eine gezielte Plattform zu bieten, mit Fairplay“, sagt Michaela Göhler-Bald. Den Projektnamen hat man dabei ebenso schlicht wie präzise gehalten: „Raufen und Rangeln“. Der Nutzen für die Schüler soll aber weit über den Aggressionsabbau hinausgehen: Die Initiatorinnen erhoffen sich eine Aktivierung der Lernbereitschaft und eine Motivation für das Schulleben, so steht es auch in der Projektausschreibung.  

Dafür, dass die Regeln eingehalten werden, sorgt natürlich Frieder Knaus. „Wir stecken den Rahmen und das Instrumentarium ab, das wird streng eingehalten“, erklärt er. Wer sich nicht an die Regeln hält, kann nicht mitmachen. Derzeit ist aber auch das Raufen und Rangeln durch Corona wieder eingeschränkt worden. Statt direktem Körperkontakt nutzen die Schüler Schaumstoffnudeln als Schwerter oder Knüppel. Auch Matten, die von zwei Gruppen in entgegengesetzte Richtung gedrückt werden oder Taue kommen zum Einsatz. Hauptsache, die Kräfte werden ein- und freigesetzt. „Es gibt ein höheres Aggressionspotenzial unter den Jugendlichen, das kriegen wir von den Teilnehmern gespiegelt“, sagt Frieder Knaus.  Bis Ende des kommenden Jahres sind pro Woche zwei Stunden vorgesehen, die Förderung umfasst dabei 5120 Euro jeweils für die beiden sechsten Klassen der Rauner Gemeinschaftsschule und der Teckrealschule. Vielleicht wird es verlängert, auch wenn die Corona-Krise dann überstanden sein sollte. Denn mit den Folgen werden die Schüler noch länger zu tun haben.