Kirchheim

Immer mehr Menschen schauen bei Gewalt hin

Hilfe Das Kirchheimer Frauenhaus sieht einen Trend zur „lokalen Hinschaugesellschaft“. Doch einigen Gruppen fehlt ein Netzwerk, das sie auffängt. Von Daniela Haußmann

Frauen, die unter häuslicher Gewalt leiden, finden im Kirchheimer Frauenhaus Zuflucht. Symbolfoto: Markus Brändli
Frauen, die unter häuslicher Gewalt leiden, finden im Kirchheimer Frauenhaus Zuflucht. Symbolfoto: Markus Brändli

Glück hatte im vergangenen Jahr der Verein „Frauen helfen Frauen“. Seine Räume im Herzen Kirchheims sind eine wichtige Anlaufstelle für Frauen, die zum Opfer häuslicher Gewalt geworden sind. Seit langer Zeit bieten die Mitarbeiterinnen am Postplatz 7 für Betroffene eine umfassende Beratung an. Bislang allerdings unter äußerst beengten Verhältnissen. Ein Umzug in größere Räume war daher schon länger ein Thema. Umso mehr freuten sich die Sozialpädagoginnen, dass auf dem gleichen Stockwerk ganz überraschend ein Büro frei wurde. So konnte der in der Bevölkerung wohlbekannte Standort von „Frauen helfen Frauen“ erhalten werden.

129 Frauen nehmen Kontakt auf

Denn der Andrang ist groß: 2016 nahmen 129 Frauen in Form von E-Mails, Telefonaten und persönlichen Gesprächen Kontakt zum Verein auf. In 78 Fällen ließen sich ehemalige Bewohnerinnen des Frauenhauses, das von „Frauen helfen Frauen“ unterhalten wird, weiter beraten. Diese Zahlen bewegen sich laut Irmgard Pfleiderer von „Frauen helfen Freuen“ seit Jahren auf einem weitgehend konstanten Niveau. 23 Frauen bewohnten im vergangenen Jahr das Frauenhaus. 15 von ihnen wiesen einen Migrationshintergrund auf. Ein hoher Anteil, den Irmgard Pfleiderer damit erklärt, dass den zugewanderten Frauen häufig ein soziales Netzwerk fehlt, das sie auffängt. „Das liegt beispielsweise an der Sprachbarriere oder daran, dass ihre Verwandten im Herkunftsland leben“, berichtet die Expertin. Vom Familiennachzug bei Flüchtlingen spüren Pfleiderer und ihre Kolleginnen noch nichts. Sie schließen aber nicht aus, dass der Zuzug möglicherweise die Zahl der Beratungen erhöht.

Mut für ein neues Leben

Es ist nicht leicht, unter eine Gewaltbeziehung einen Schlussstrich zu ziehen. Mitunter benötigen die Frauen laut Vereinsmitarbeiterin Susanne Lorch mehrere Anläufe. Dass im vergangenen Jahr über 90 Prozent der Schutzsuchenden zum ersten Mal das Kirchheimer Frauenhaus besuchten, zeige deshalb, dass der Verein sehr gute Arbeit geleistet hat. Momentan ist es alles andere als einfach, eine Wohnung zu finden. Trotzdem blieb keine der Frauen länger als 12 Monate im Frauenhaus. „Sehr viele Frauen hatten einen Schulabschluss und eine abgeschlossene Ausbildung“, erzählt Susanne Lorch. „Das hat die Suche etwas begünstigt.“

Positiv hat sich auch die lokale Hinschaugesellschaft entwickelt. „Einige kommen zu uns, weil sie jemand in ihrem Umfeld auf den Verein aufmerksam gemacht hat“, berichtet die Sozialpädagogin. „Aber auch Angehörige, Freunde, Bekannte oder Nachbarn rufen an, um Informationen oder Ratschläge einzuholen.“

Finanzielle Unterstützung

Die externe Beratung in den Räumen am Postplatz wird finanziell vom Regierungspräsidium Stuttgart unterstützt. Erstmals wurde dieses Angebot auch vom Landratsamt Esslingen mit 6 000 Euro bezuschusst. „Die Förderung ist vorläufig bis 2018 befristet und soll danach höchstwahrscheinlich dauerhaft bewilligt werden“, erklärt Susanne Lorch. In den Sternen stünde allerdings noch, ob die Städte Kirchheim und Nürtingen ebenfalls einen Zuschuss beisteuern.

„Frauen helfen Frauen“ leistet laut Lorch seit seinem Bestehen weit über die Grenzen Kirchheims hinaus einen nachhaltigen Beitrag zur Unterstützung von weiblichen Gewaltopfern und ihrer Kinder. Das, was die Mitarbeiterinnen leisten, geht weit über Beratung und akute Hilfestellungen hinaus. „Wir leisten wertvolle Aufklärungs- und Präventionsarbeit - auch in von Gewalt betroffenen Haushalten“, sagt Susanne Lorch.

Auch Kinder profitieren

Ausflüge, gemeinsame Mahlzeiten und Gespräche helfen den Opfern im Kirchheimer Frauenhaus, ihren Alltag zu normalisieren, zu strukturieren, Ruhe zu finden und Mut zu fassen. Von diesem Angebot profitieren auch die Kinder, die von ihren Müttern mit ins Frauenhaus gebracht werden. Eine finanzielle Unterstützung der beiden Kreisstädte wäre deshalb aus Sicht von Irmgard Pfleiderer mehr als hilfreich. „Gleichzeitig könnte so die Brisanz des Themas ‚Häusliche Gewalt‘ noch stärker ins öffentliche Bewusstsein gerückt werden“, ist die Expertin überzeugt.

Häusliche Gewalt: 82 Prozent der Opfer sind Frauen

Häusliche Gewalt gegen Frauen, Männer und Kinder ist laut Bundesfamilienministerium keine Privatsache, sondern eine Straftat. 2015 wurden nach Angaben des Bundeskriminalamtes deutschlandweit über 127 400 Personen durch ihren Partner oder Ex-Partner zum Opfer von Mord, Körperverletzung, Vergewaltigung, sexueller Nötigung, Bedrohung oder Stalking.

Rund 82 Prozent der Betroffenen waren laut BKA-Angaben Frauen. Etwa 49 Prozent von ihnen lebten zum Tatzeitpunkt mit dem Täter in einem Haushalt, wie das Bundesfamilienministerium angibt. dh