Kirchheim

Jäger und Datensammler

Wildtierforum tagt in Dettingen – Neues Wildtiermanagement erfordert Monitoringdaten

Wildtiere leben heute in einer immer stärker zerteilten und vom Menschen beanspruchten Landschaft. Der Schutz von Wildtieren und ihren Lebensräumen gewinnt deshalb an Bedeutung. Der Jägerschaft kommt dabei eine Schlüssel- rolle zu, wie das Wildtier­forum in Dettingen zeigte.

Wenn Jäger verendete Wildschweine melden, kann das beispielsweise zur Früherkennung der Schweinepest beitragen.Foto: Claudia Rei
Wenn Jäger verendete Wildschweine melden, kann das beispielsweise zur Früherkennung der Schweinepest beitragen.Foto: Claudia Reinöhl

Kirchheim/Dettingen. Am 1. April 2015 trat das neue Jagd- und Wildtiermanagement des Landes in Kraft. In ihm wird die Jagdausübung an wildtierökologischen Erkenntnissen ausgerichtet und das Jagdrecht um ein Wildtiermanagement ergänzt, dessen Basis wissenschaftliche Erhebungen, Messungen, Beobachtungen und Daten bilden. Dabei sind Jäger wichtige Akteure bei der Hege und dem Monitoring von Wildtieren und der Entwicklung ihrer Lebensräume, wie Dr. Janosch Arnold von der Wildforschungsstelle des Landwirtschaftlichen Zentrums Baden-Württemberg betonte.

Bei ihren Pirschgängen und auf ihren Ansitzen machen Jäger wichtige Beobachtungen. Die sollen künftig systematischer erhoben werden, wie Johanna Arnold vom Deutschen Jagdverband erklärte. Aus Sicht der Forstwissenschaftlerin liefern Jäger Informationen, die die von Forschungseinrichtungen, Naturschutzverbänden oder der Forstverwaltung gesammelten Daten ergänzen können. Außerdem sollen sie dabei helfen, wissenschaftliche Fragenstellungen zu beantworten.

Bei Wolf, Luchs und Wildkatze kann laut Dr. Rudi Suchant von der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Freiburg aus Monitoringdaten abgeleitet werden, ob, wie und in welchem Maß eine Wiederbesiedlung Baden-Württembergs stattfindet. Darüber hinaus können die von Jägern durchgeführten Beobachtungen und Überwachungen laut Dr. Jörg Friedmann vom Landesjagdverband Baden-Württemberg beispielsweise auch zur Früherkennung der afrikanischen Schweinepest beitragen, die Wild- und Hausschweine befällt. „Ein Ausbruch der Seuche hat für Landwirte enorme wirtschaftliche Schäden zur Folge“, erklärte der Landesjägermeister. „Einer Früherkennung, durch die Untersuchung von nicht erlegten, sondern von Jägern tot gefundenen Wildschweinen, kommt daher bei der Krankheitsbekämpfung eine wichtige Bedeutung zu.“

Die im Rahmen des Wildtiermonitorings gesammelten Daten und Informationen sollen laut Peter Linderoth von der Wildforschungsstelle in einem Wildtierbericht zusammengefasst werden. „Der soll alle drei Jahre oder bei besonderer Veranlassung erscheinen“, so Linderoth. „Er gibt detaillierte Auskunft über den Zustand der Wildtierarten.“ Damit bildet der Bericht Jörg Friedmann zufolge die maßgebende Grundlage für das Wildtiermanagement, das unter anderem zur Vermeidung von Wildschäden, zur Förderung stabiler und gesunder Wildtierbestände, zum Schutz bedrohter Arten sowie zum Erhalt und zur Weiterentwicklung der Jagd betragen soll.

Aus dem regelmäßigen Bericht gehe hervor, wie sich die Tierarten entwickeln und welchem Trend sie dabei unterliegen. Diese Erkenntnisse haben laut Friedmann Einfluss darauf, ob bestimmte Arten aufgrund ihrer Bestandszahlen, ihrer Vitalität und ihrer Stabilität zur Jagd freigegeben werden oder sogar bejagt werden müssen, weil zu hohe Bestände zum Beispiel landwirtschaftliche Flächen gefährden. Arten, die in ihrem Bestand zurückgehen, die nicht in den für sie geeigneten Lebensräumen vorkommen, deren Bestandsstatus Unklarheiten aufweist oder einer besonderen Hege bedarf, lassen sich auf der Datengrundlage des Wildtierberichts in ein Entwicklungsmanagement überführen, das sie von der jagdlichen Nutzung ausnimmt und in ihrem Bestand, aber auch Vorkommen, fördert. Arten die laut Wildtierbericht gefährdet sind, in geringer Zahl vorkommen und nach naturschutzrechtlichen Bestimmungen streng geschützt sind, unterliegen dem im Jagd- und Wildtiermanagementgesetz für sie vorgesehenen Schutzmanagement, wie Jörg Friedmann betonte.

Der Landesjägermeister wies aber auch darauf hin, dass sich Wildbestände dynamisch entwickeln. Die fortlaufende Evaluation der Wildtierarten und der auf ihrer Grundlage im regelmäßigen Turnus erscheinende Wildtierbericht, trage dem Rechnung und erlaube damit eine an die Entwicklung einzelner Wildtierarten angepasste Steuerung und Kontrolle von Entwicklungs-, Schutz- und Jagdmaßnahmen. Viele der rund 190 Jäger, Wildtierbeauftragten, Förster und Wissenschaftler sahen im Wildtiermonitoring eine unverzichtbare Grundlage zum Umgang mit wild lebenden Tieren, zu der künftig Jäger noch stärker einen unverzichtbaren Beitrag leisten werden.

Artenvielfalt fördernInterview

Dr. Jörg Friedmann
Dr. Jörg Friedmann

Herr Friedmann, nicht jeder Jäger bringt Erfahrungen in der qualitativen und quantitativen Forschung mit. Welche Anforderungen ergeben sich damit für das Wildtiermonitoring?

JÖRG FRIEDMANN: Es muss ein anwendungsorientiertes System etabliert werden, das einfache Instrumente zur Datenerhebung und -erfassung beinhaltet. Dann wird es uns auch gelingen Beobachtungen und Informationen auf einer zuverlässigen, empirisch gesicherten und breiten Basis zu liefern. Die Jäger dürfen nicht überfordert werden. Der Schwerpunkt liegt darauf, ihre Präsenz in der Fläche zu nutzen, um überhaupt Daten gewinnen zu können und diese anschließend auszuwerten, solange das die personellen und finanziellen Ressourcen möglich machen.

Lässt sich die Artenvielfalt auf Basis des Monitorings noch besser und zielgerichteter fördern?

FRIEDMANN: Das ist definitiv der Fall. Wir wissen viel, aber wir sollten es mit statistischem Material belegen können. Auf einer empirischen Grundlage lassen sich bessere Maßnahmen für den Artenschutz und die Biodiversität einleiten. Denn die Daten liefern beispielsweise Erkenntnisse über das zeitliche und räumliche Verhalten von Tieren, ihr Reproduktionsverhalten oder die Anforderungen, die sie an ihren Lebensraum stellen. Das bietet bessere Ansatzpunkte für zielorientiertere Förder- und Schutzmaßnahmen und auch für die jagdliche Praxis.

Also auch mit Blick auf Wanderbewegungen in unserer durch Siedlungen, Schienen oder Straßen zerschnittenen Landschaft?

FRIEDMANN: Durch entsprechende Datenerhebungen wissen wir heute ganz genau, wo Wildtiere schwierige Stellen, wie zum Beispiel eine Straße, überqueren wollen. Diese Stellen werden im Generalwildwegeplan bis auf 100 Meter genau ausgewiesen. Auf dieser Grundlage können Querungshilfen wie Grünbrücken oder Grüntunnel angelegt werden, die dazu beitragen, dass die Straßenmortalität von Wildtieren sinkt und Wildtierlebensräume großflächig miteinander vernetzt werden. So lässt sich die Verbreitung und das Vorkommen von Tierarten, gerade auch von bedrohten Spezies, gezielt fördern. Und nebenbei werden Unfälle vermieden.

Warum kam der Vorstoß im Monitoringbereich nicht schon früher?

FRIEDMANN: Daten wurden im Bereich der Wildtierarten schon immer erhoben, aber eben nicht systematisch. Die technischen Entwicklungen der jüngeren Zeit geben uns erst jetzt ganz neue Instrumente an die Hand, wie zum Beispiel die GPS-Telemetrie oder Datenbanksysteme. Mit diesen neuen und auch gewachsenen Möglichkeiten der systematischen und flächendeckenden Datenerfassung können auch die Jäger ihr umfangreiches Know-how einbringen, das Wissenschaftler in ihrer Arbeit unterstützt.

Foto: Daniela Haußmann