Kirchheim

Karius und Baktus mit Nutella füttern

Kabarett Rolf Miller verteilt seine „Lachmedizin“ in der Kirchheimer Stadthalle. Er brilliert mit Wortfetzen, Halbsätzen und einem Auftritt, der sich denen Karl Valentins nähert. Von Ulrich Staehle

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Ganz am Schluss gibt Rolf Miller - im Stehen - das Geheimnis seines Kabarettformats preis: Interviews mit Fußballern haben ihn angeregt, sein Spiel mit Halbsätzen zu treiben. Die Fußballer können mit dem Ball umgehen, nicht alle aber mit der Sprache. Sogar der Titel seines aktuellen Programms stammt aus dem Interview mit einem Fußballer: „Hauptsache Sieg, alles andere ist primär“. „Primär“ statt „sekundär“, das verstört und belustigt.

Doch wenn er sitzt, ist er ein anderer, ein Herr Jedermann, der Einblicke gewährt in die Befindlichkeit seiner Zeitgenossen. Ihn bewegt vieles, was er auch gerne anderen mitteilen möchte: fast stammtischhaft spricht er über Politik, über Mann und Frau, über Fußball, Urlaub, Esoterik, vergangene Zeiten und vieles mehr. Der Zugriff auf seine Themen geschieht in scheinbarer sprachlicher und logischer Hilflosigkeit nach dem Motto „Knapp und klar: Was jetzt?“. So manche Behauptung landet im logischen Niemandsland. Herr Jedermann fordert klare Entscheidungen: „Ja, oder nein, oder ich weiß auch nicht.“ Damit ist natürlich auch ein sprachliches Problem verbunden.

Der Mann auf dem Stuhl scheitert meist sprachlich nach einem halben Satz. Er berichtet: „Ich komme aus einfachen. . .“. Nun stockt er, macht eine kurze Pause und ein ernsthaftes Gesicht, dann versucht er die Fortsetzung mit dem Allerweltswort „. . . Dingen“, schließlich mit „. . .Situationen“. Zur Vokabel „. . .Verhältnissen“ gelangt er nicht, nur der lachende Zuschauer. Pausen sind ein wirksam eingesetztes Mittel, um die Spannung zu erhöhen. Man vermutet vielleicht eine Panne. Doch zutage kommt erst jetzt eine Pointe, oder ein neues Thema wird angeschnitten. Manchmal füllt auch ein kurzes Verlegenheitslachen die sprachlichen Pausen. Nähe zum Zuschauer schafft auch der Odenwälder Dialekt. Hier spricht kein belehrender Schulmeister, sondern ein Mann aus dem Volk, der spricht, wie ihm der Schnabel gewachsen ist.

Trotz oder gerade wegen dieser Sprachfetzen und Einwortsätzen kommen seine satirischen Botschaften beim Publikum an, die Kritik an der party- und drogensüchtigen Jugendkultur, an der Fragilität der Geschlechterbeziehungen, an den Fußballfans vor dem Fernseher („Wenn ich sehe, wie die anderen sich bewegen, werde ich müde“), am Gewehr der Bundeswehr, dem man gut zureden muss, damit es einen Schuss abgibt, am Fanatismus der Veganer und vielem mehr. Ausnahmsweise direkt kritisiert Miller die aktuelle politische Lage. Erdogan ist ein „Türkenkapo“, der eigene Fehler anderen vorwirft, Trump sein „eineiiger Zwilling“, Putin ein Gesinnungsgenosse.

Einen besonderen Teil bildet der Rückblick auf die Achtzigerjahre, unter anderem mit seiner Musikszene, dem „7. Sinn“ und der Wiedervereinigung. Dies schafft ein gemeinsames wohliges Erinnerungsgefühl bei den Zuhörern. Miller nähert sich den Sphären Karl Valentins, wenn er als Kind Mitleid hat mit „Karius und Baktus“ aus dem bekannten belehrenden Kinderbuch, die alleine in einer Zahnhöhle hausen. Er hat sie mit Nutella auf der Zahnbürste gefüttert.

Ein Mann mit seiner Sprache, seiner Mimik und Gestik, ein Stuhl und eine Flasche Wasser haben gereicht, um zwei Stunden Gelächter zu bewirken. Wenn Lachen gesund ist, so haben einige Hundert Menschen die Stadthalle gesünder verlassen. Miller hat bewiesen, dass er zu Recht preisgekrönt ist und immer wieder auf den Kabarettpodien der Fernsehsender auftritt. Mit seinem Engagement hat die Stadthalle Kirchheim ein weiteres Mal bewiesen, dass sie sich zum Anziehungspunkt für Kabarettfreunde entwickelt hat, die auch aus der weiteren Region anreisen.