Kirchheim

Kirchheim öffnet sich - für Masken

Anordnung Die Pflicht zum Maskentragen gilt wohl erst ab Donnerstag. Trotzdem wird derzeit über nichts anderes so heftig diskutiert. Dabei halten sich zwei Drittel der Innenstadtbesucher schon freiwillig daran. Von Andreas Volz

Marktszene in Kirchheim: Auch wenn die Pflicht noch nicht gilt, tragen Verkäuferin und Kunde bereits Maske. Foto: Markus Brändli
Marktszene in Kirchheim: Auch wenn die Pflicht noch nicht gilt, tragen Verkäuferin und Kunde bereits Maske. Foto: Markus Brändli
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Es ist ein gewöhnlicher Montagvormittag in Kirchheim, fast alle Läden haben geöffnet. Wer hätte bis Mitte März 2020 ernsthaft geglaubt, dass diese Tatsache jemals zur Grundlage eines Zeitungsartikels werden könnte? Der Satz hätte in etwa so banal geklungen wie die Aussagen: „In Kirchheim fließt die Lindach in die Lauter“ oder „Außerhalb des Winters kriegt man in zahlreichen Eisdielen sein Eis in der Tüte“.

Gut, das mit dem Eis ist jetzt auch nicht mehr banal. Im Gegenteil: Es ist eine Sensation. Zwei Kugeln in der Waffel - eine Explosion der Sinne. Auch das gibt es erst seit dem gestrigen Montag wieder in Kirchheim, und längst noch nicht in jedem Eiscafé. Es war ges­tern also doch kein ganz gewöhnlicher Montag in der Teckstadt.

Fast fünf Wochen lang waren Freizeitfreuden wie Shopping oder Eisschlecken nicht mehr möglich, untersagt wegen der Ansteckungsgefahr in Corona-Zeiten. Die vorsichtige Öffnung der Läden ist zwar in allen Städten ein Thema. Aber Kirchheim hat nahezu ein Alleinstellungsmerkmal in diesen Tagen: die Maskenpflicht.

Maske als Thema aller Themen

Kein anderes Thema wird seit Freitag so ausgiebig diskutiert - obwohl die Pflicht als solche noch gar nicht gilt. Bis jetzt ist es nach wie vor nur eine dringende Empfehlung der Stadt. Zur Pflicht wird es erst, wenn die entsprechende Verfügung im Teckboten als Amtsblatt veröffentlicht ist. Das dürfte erst am Donnerstag der Fall sein.

Trotzdem waren gestern zwei Drittel der Passanten bereits mit irgendeiner Art von Mundschutz unterwegs. Zur Not tut es ja tatsächlich ein Tuch, das Mund und Nase bedeckt. Die Marktbeschicker beispielsweise tragen alle ihre Masken. Manche schützen damit zuweilen auch lieber nur den Kehlkopf statt Mund und Nase.

Einer der Händler bringt es auf den Punkt: „Acht Stunden am Stück, das geht doch gar nicht.“ Sofort folgt eines der häufigsten Argumente: „Da beschlägt ja die Brille.“ Eine Kundin weiß schon mehr: „Sie müssen nur die Brille auf die Maske setzen. Dann atmen Sie nicht mehr nach oben aus.“

Fachdiskussionen allerorten auf dem Marktplatz und in der Fußgängerzone. Politisch wird es, als Andreas Kenner am Wachthaus auftaucht. Der SPD-Landtagsabgeordnete und -Stadtrat schießt gerade eine Fotoserie - „über geschlossene Wirtschaften in der Corona-Zeit“. Spätere Historiker werden es ihm danken. Zeitgenossen dagegen suchen sofort das Gespräch - auch das Streitgespräch.

Ein Passant holt aus: „Ich soll hier eine Maske tragen, und in den Altenheimen rennen die ohne rum, weil sie keine haben. Da kannst du gleich im Rathaus ausrichten, sie sollen dafür sorgen, dass ich auch Masken kaufen kann. Dann setze ich vielleicht sogar eine auf.“

Gelassen kontert Andreas Kenner: „Wir haben eine Räum- und Streupflicht. Da kommt doch keiner auf die Idee, das Rathaus soll ihn mit Streusalz und Schneeschippe ausstatten.“ Aber in der Tat will das Rathaus noch vor Donnerstag, also vor Inkrafttreten der Pflicht, eine Liste herausgeben, wo man Masken kaufen kann.

Zum Sinn des Maskentragens verweist Andreas Kenner auf Jena: „Das war die erste Großstadt mit Maskenpflicht. Und seither gibt es dort keine Infektionen mehr.“

Eine andere Möglichkeit, das „Hochfahren“ des sozialen Lebens mit dem Vermeiden der Ansteckungsgefahren in Einklang zu bringen, sieht Andreas Kenner immer noch im Abstandhalten. Vor dem Biergarten des Wachthauses bekennt er: „Ich halte 90 Prozent der Menschen für vernünftig. Es müsste also funktionieren, dass nur zwei Menschen an einem Tisch sitzen. Ich würde mich ehrenamtlich dazu bereit erklären, allen zu vermitteln: Wenn ihr euch nicht daran haltet, müssen wir bald wieder alles schließen.“

Nach gut einer Stunde Selbstversuch bleibt übrigens festzustellen: Auf Dauer ist es unangenehm, wenn ständig feuchte Atemluft gegen die Maske schlägt. Vielleicht ist das der tiefere Sinn der Pflicht: Wer Maske tragen muss, geht recht schnell freiwillig wieder heim.