Kirchheim
Kita-Krise: Wie eine Mutter für ihr Kind kämpft

Betreuung Der vierjährige Deniz aus Kirchheim, der eine Autismus-Spektrum-Störung hat, bekommt keinen Kita-Platz. Dabei bräuchte er dringend andere Kinder, um sich weiterzuentwickeln. Seine Mutter gibt jedoch nicht auf. Von Antje Dörr

Deniz und Ewa spielen „Karten“. Auf einer ist ein weinendes Mädchen abgebildet, daneben ein heruntergefallenes Eis. „Eis kaputt, Mädchen traurig“, sagt Deniz. Dass er erkennt, was das Mädchen fühlt und warum, ist für den Viereinhalbjährigen eine Riesenleistung. Emotionen zu entschlüsseln ist für Deniz, was für andere das Lösen schwerer Mathegleichungen ist: eine große Herausforderung. Vor etwas über einem Jahr wurde bei ihm eine autistische Spektrumsstörung diagnostiziert. Seitdem tut Mutter Ewa, was sie kann, um Deniz zu helfen: Sie fährt mit ihm zur Therapie, hat sich Bücher über Autismus besorgt, ist in Kontakt mit Fachleuten und spielt mit ihm therapeutische Spiele. „Durch unsere Arbeit mit ihm und durch die Therapie ist die Symptomatik nicht so ausgeprägt“, sagt Ewa Subayrak nicht ohne Stolz. „Es hat sich schon viel geradegebogen.“

Doch zu Hause stößt die Mutter allmählich an ihre Grenzen. Denn was sie ihm nicht geben kann, sind andere Kinder. Deniz ist Einzelkind, und einen Kita-Platz hat er nicht, weil in Kirchheim Kita-Plätze fehlen. Dabei bräuchte er dringend Sozialkontakte, um das zu lernen, was er bis heute nicht kann: mit anderen Kindern spielen und spontan mit Menschen kommunizieren. „Wenn wir auf den Spielplatz gehen, schaut er den anderen gespannt beim Spielen zu, aber er spielt nicht mit. Die Ärzte und Therapeuten sagen alle: Kita, Kita, Kita!“, sagt Ewa Subayrak. Die 36-Jährige ist davon überzeugt, dass ihr Sohn von anderen Kindern viel lernen könnte. Sie ist voller Hoffnung, aber sie hat auch Angst, dass ihr die Zeit davonrennt. „Er soll in zwei Jahren in die Schule gehen“, sagt sie. 

Dass Deniz keinen Kindergartenplatz hat, hat mehrere Gründe. Erstens fehlen in Kirchheim Kita-Plätze. Aktuell sind laut Angaben der Stadt über 200 Kinder nicht versorgt. Außerdem habe sie weniger Chancen auf einen Platz, weil sie aktuell nicht erwerbstätig sei, sagt die Mutter. Das stimmt laut Stadt nicht. „Die Berufstätigkeit eines oder beider Elternteile sind keine Voraussetzung für einen Betreuungsplatz mit verlängerten Öffnungszeiten oder der Regelbetreuung“, sagt Robert Berndt, Pressesprecher der Stadt Kirchheim. „Lediglich für einen Platz in der Ganztagesbetreuung ist ein Nachweis der Berufstätigkeit beider Eltern oder des Alleinerziehenden notwendig.“ Allerdings könnten einem Kind mit besonderen Anforderungen an die Betreuung „nur spezielle, dem Kindeswohl entsprechende Plätze“ angeboten werden. Darüber hinaus müsse man eine geeignete Integrationskraft zur Verfügung stehen. „Nicht für alle betroffenen Kinder konnte beim letzten Bewerbungsverfahren eine solche geeignete Fachkraft gefunden werden. Aktuell sind weitere Stellen als Integrationskräfte an den städtischen Kitas in Kirchheim ausgeschrieben“, so Berndt.

Eva Subayrak lässt nicht locker. Die Sorge, dass ihr Sohn eine wichtige Lebenschance verpasst, lässt sie nicht ruhen. „Ich könnte mir vorstellen, dass Deniz auch ohne Integrationskraft klarkommt“, sagt sie. „Er ist nicht so ein schwerer Fall.“ Subayrak hakt immer wieder nach, hat sogar einen Brief an den Oberbürgermeister geschrieben, jedoch keine Antwort erhalten. Andere setzen sich für sie ein, zum Beispiel der Chef der Frühförderstelle Esslingen – ohne Erfolg. Subayrak sagt, dass sie frustriert ist, weil sie das Gefühl hat, bei der Stadt Kirchheim nicht verstanden und immer nur vertrös­tet zu werden. Wenn sie anderen erzähle, dass ihr autistischer Sohn keinen Kita-Platz bekomme, schüttle jeder nur den Kopf. 

 

Die Diagnose kam erst mit drei Jahren

Deniz hat als Kleinkind Bauklötze gerne nach Farben sortiert. Damals fällt Ewa Subayrak zum ersten Mal auf, dass ihr Sohn anders ist als andere Kinder. Wenn er sich freut, schüttelt er hektisch seine Hände. Er spricht wenig, „Mama“, „Papa“ und „Mjamjam“ bleiben lange seine einzigen Wörter. Der Kinderarzt schiebt es zunächst darauf, dass Deniz dreisprachig – deutsch, polnisch, türkisch – erzogen wird und deshalb ein „Spätsprecher“ sei. Weil er gerne mit den Eltern spielt, wird eine autistische Spektrumsstörung zunächst nicht in Betracht gezogen. Die Diagnose wird schließlich mit drei Jahren im SPZ in Esslingen gestellt. Dank Therapie und heimischer Förderung reagiert Deniz heute gut auf seinen Namen, kann seine Emotionen benennen, hält Blickkontakt. Er hat ein sehr gutes Gedächtnis, kennt Buchstaben und Zahlen, liebt Puzzles und liest sogar schon erste Wörter. adö