Kirchheim

Kommentar: Die Fassade fordert heraus

Natürlich wäre ein Zierfachwerk aus der Wiederaufbauphase nach dem Stadtbrand noch schöner. Das hat die Linde nicht zu bieten. Und trotzdem hat auch das vorhandene Fachwerk des Mehrgenerationenhauses seine Berechtigung. Wenn man so etwas pauschal als „Disneyland“ abqualifiziert, macht man es sich ein bisschen zu einfach.

Stadtrat Schöllkopf bleibt es unbenommen, eigene ästhetische Präferenzen zu setzen. Wenn diese Präferenzen in Richtung blanken Beton gehen, ist auch das sein gutes Recht. Es ist auch gut, dass er diese Meinung im Ratsrund ausspricht. Das ist ein wichtiger Bestandteil der Demokratie. Es ist auch aller Ehren wert, gerade am Ende einer Debatte eine solche gänzlich konträre Meinung zu vertreten.

Dennoch gehört es eben auch zur Demokratie, dass die Mehrheit entscheidet. Nicht immer ist jeder glücklich mit dem, was die Mehrheit denkt. Aber in diesem Fall entspricht die Mehrheit im Gemeinderat ziemlich sicher auch der Mehrheit in der Einwohnerschaft. Ein moderner „Betonbunker“ anstelle der liebgewonnenen Fachwerkfassade würde die Innenstadt ganz sicher nicht verschönern - egal wie nüchtern pragmatisch und funktional der Neubau sonst auch ausfallen mag.

Diese Fassade vermittelt ein Gefühl von Heimat und Vertrautheit. Selbst wer noch nie in Kirchheim war, wird sich daran erfreuen - und sei es auch „nur“ am Blendfachwerk. Stadtrat Miller hat gut daran getan, die vielen Bausünden entlang des Alleenrings in Erinnerung zu rufen und das Alte Haus als leuchtendes Gegenbeispiel hervorzuheben. Die Mehrheitsentscheidung zeigt, dass der Gemeinderat seit 1982 dazugelernt hat.

Und was die Schwierigkeiten betrifft, die alte Fassade mit einem neuen Gebäude zu vereinen: Wer diese Aufgabe nicht als Problem betrachtet, sondern als Herausforderung, dem fallen auch pfiffige Lösungen ein. Der Wettbewerb wird gleich mehrere solcher Lösungen hervorbringen. Andreas Volz