Der Bundesrat hat es gestoppt, und auch medial sowie von Politikerseite gibt es momentan viel Schelte für das Bürgergeld: Auch wenn man sich bei der Erhöhung des Regelsatzes um mehr als elf Prozent einig ist, werden andere Aspekte scharf kritisiert. Es biete eine soziale Hängematte, entwerte die Arbeit oder hebele das Prinzip Förden aus. Für den Kreisdiakonieverband liefert die Diskussion Anlass, einige Dinge geradezurücken und über manche „Mythen“ aufzuklären.
Da wäre zunächst das Hauptargument der Kritiker, dass sich Arbeit nicht mehr lohne. Frieder Claus, Sprecher der Unabhängigen Hartz-IV-Beratung im Kreis, legt dazu detaillierte Berechnungen aus einem Praxisfall vor: Eine Familie mit drei Kindern kommt bei Bürgergeldbezug und Kindergeld auf ein Familieneinkommen von 2988 Euro monatlich, bei Arbeitsaufnahme des Vaters mit einem Nettolohn von 2572 Euro, Kindergeld sowie Wohngeld und Kinderzuschlag landet die Familie bei 4326 Euro.
Ähnliches gilt für das Thema Heizkosten. Sie werden keineswegs komplett, sondern in „angemessener Höhe“ übernommen. „Aber was ist angemessen? Der Verbrauch hängt ja auch vom Zustand der Wohnung ab, nur wie wollen Sie das messen?“, wirft Frieder Claus die Fragen auf. Und dann sei da noch der Strompreis, der nicht unter die Heizkosten falle, aber ebenfalls stark ansteige. „Der muss von der Grundsicherung bezahlt werden“, sagt Frieder Claus.
Schließlich geht es auch um den Hauptkritikpunkt der Opposition und vieler Journalistinnen und Journalisten an der Bürgergeld-Reform: der vermeintlichen Streichung aller Sanktionen.
Außerdem soll es für das erste halbe Jahr ein Sanktionsmoratorium geben. In dieser Vertrauenszeit werden Pflichtverletzungen zwar dokumentiert, aber nicht sanktioniert. Neu ist auch ein Bonus für Weiterbildung, deren erfolgreicher Abschluss Prämien von 1500 Euro für die Klienten vorsieht. „Es gibt einen Wechsel von einer Straf- zur Belobigungspädagogik“, erklärt der Experte. „Grundsätzlich begrüßen wir das“, sagt der Geschäftsführer der Kreisdiakonie, Eberhard Haußmann. Denn Studien hätten ergeben, dass Sanktionen nicht mehr Menschen in Arbeit bringen, sondern sie eher stigmatisiert und demotiviert. Im Kreis Esslingen würden ohnehin nur weniger als fünf Prozent der Leistungsbezieher sanktioniert, meistens wegen Meldeversäumnissen.
Im Übrigen sei das in anderen Lebensbereichen, etwa Krankenversicherungen, längst Praxis: Dort werden nicht diejenigen mit einer ungesunden und riskanten Lebensweise stärker zur Kasse gebeten, sondern diejenigen mit Boni gefördert, die etwas für die Gesundheit tun.
Die Position der Diakonie ist klar: Die Reform geht in die richtige Richtung, nur müsse der Regelsatz höher liegen, um Armut zu verhindern. Denn trotz der geplanten Erhöhung um mehr als elf Prozent werden Hilfeempfänger wegen der Preissteigerungen effektiv 7,8 Prozent im Vergleich zu 2021 haben.