Kirchheim
„Krisenzeiten sind Bildungszeiten“

Wissen Die VHS Kirchheim feiert in diesem Jahr 75-jähriges Bestehen. Die Angebote erfreuen sich nach wie vor ­großer Beliebtheit. Kein Wunder: Im Programm 2022/23 finden sich Themen von hoher Aktualität. Von Thomas Zapp

Dass im Kirchheimer „Spital“ keine Kranken behandelt und auch schon lange keine alten Menschen mehr gepflegt werden, weiß wohl jede Kirchheimerin und jeder Kirchheimer. In dem denkmalgeschützten Gebäude hat die Volkshochschule seit 1974 ihre Unterrichtsräume. Gegründet wurde sie in Kirchheim aber schon viel früher, nämlich im Dezember 1947. Zum 75-jährigen Bestehen erscheint nun auch das Programmheft im Jubiläumslook. „Im Mittelteil des Heftes befindet sich ein Blumenstrauß“, sagt Friederike Leisener, seit Mai 2020 als Managerin für Organisationsentwicklung und Querschnittsaufgaben in der VHS zuständig, zu der seit den 70er-Jahren auch die Zweigstelle in Wendlingen gehört sowie zehn Außenstellen von Notzingen bis Lenningen. 

Die ­Organisationsexpertin kümmert sich auch darum, die Angebote der Volkshochschule fit für die Zukunft zu machen, etwa aus einem Kurs eine Videoveranstaltung zu machen, wenn eine neue Corona-Welle einen Besuch vor Ort unmöglich macht.
 

Sie wollen Wissen abholen und soziale Momente genießen.
Friederike Leisener
über die Motivation der Teilnehmerinnen und Teilnehmer

 

„In unserem aktuellen Heft haben wir auch eine Online-Vortragsreihe in Kooperation mit dem Deutschen Volkshochschulverband“, sagt Dr. Iris-Patricia Laudacher, Leiterin der VHS Kirchheim. Beispiele: „Gender trifft Erderwärmung“ oder „nachhaltige Ernährung“.

„Nah am Alltag“ sollen die Angebote der Volkshochschule sein, das gilt sowohl für heute als auch für die Zeit vor 75 Jahren. Erfreute sich damals Stenografie großer Beliebtheit, sind es heute Tastatur-Kurse für schnelles Schreiben mit zehn Fingern. Aus „Elektrotechnik im täglichen Leben“ ist „Mein Smartphone und ich“ geworden, statt „Zeitgemäße Haushaltsführung“ gibt es heute exotische Kochkurse wie die indonesische Garküche oder „gesunde Pizzavariationen“. „In unserem modernen Schulungszentrum in der Henriettenstraße haben wir optimale Möglichkeiten, dort macht es den Teilnehmerinnen und Teilnehmern auch Spaß“, sagt die Leiterin. Auch das „Spital“ ist auf dem neuesten Stand: Dort kommen digitale Wandtafeln gerade in den Sprachkursen zum Einsatz.

Was die amerikanischen Besatzungsmächte 1947 mit der „re­education“, der Umerziehung der Bevölkerung, mit der Gründung der Volkshochschulen einforderten, hatte für Kriegsheimkehrer auch praktische Gründe: Bildung als Hilfe für die Rückkehr in den Beruf. „Wer nach dem Krieg umziehen musste, konnte oftmals seine Ausbildung nicht beenden“, sagt Iris Laudacher. Das ist auch heute noch eine Motivation für viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer: Die Verbesserung von Berufsaussichten, etwa durch verbesserte EDV-Kenntnisse. Überhaupt stellt sie aktuell eine gute Nachfrage nach vielen Kursen fest: „Krisenzeiten sind Bildungszeiten“, sagt sie. Das merke man auch an der starken Nachfrage nach Deutschkursen für Geflüchtete und Zuwanderer, welche die VHS in Kooperation mit dem Bundesministerium für Migration und Flüchtlinge anbietet.

Einen großen Anteil haben im aktuellen Programm wieder Gesundheits- und Ernährungsthemen vom Autogenen Training bis zum Kochkurs „Gesund und lecker“. Auch da hat sich einiges verändert. „Vor 20 Jahren hätte niemand aus Giersch Spinat gekocht“, sagt Iris Laudacher lachend. Natürlich dürfen auch Vorträge nicht fehlen, deren Themen gerade wieder an Aktualität gewinnen: Am 10. November wird es um Psychologie in der Klimakrise gehen. „Was uns hemmt und motiviert, klimaschonend zu agieren.“ 

Der größte Unterschied zwischen 2022 und 1947 ist der Umfang des Programms: Waren es zwei Jahre nach Kriegsende noch 18, sind es heute knapp 500 Kurse. Aber auch die wollen an die Frau und den Mann gebracht werden. „Sie haben heute viel mehr Angebote anderer Bildungsträger“, sagt Iris Laudacher. Mit denen konkurriert man auch um Dozentinnen und Dozenten – die sind der Schlüssel vieler Erfolge. „Manche besuchen die Kurse nur wegen bestimmter Dozenten. Daraus ergeben sich auch über den Kurs ­hinaus Freundschaften“, sagt Friederike Leisener. Und im Vergleich etwa zu Do-it-yourself-­online-Kursen hätten die „realen“ Dozentinnen und Dozenten vor Ort einen großen Vorteil: „Bei uns bringen sie gleich das richtige Material mit.“ 

Bei aller Digitalisierung spielt doch der menschliche Faktor eine sehr große Rolle. Nicht umsonst trägt das aktuelle Programm den Titel „Bildung und Begegnung“. Gerade von Letzterer soll es nach dem Willen der Macherinnen auch im neuen Semester wieder eine Menge geben.

Info Das Programm gibt es auch im Internet auf vhskirchheim.de