Kirchheim

Kunst, die viele Fragen stellt

Ausstellung Bis 21. Oktober zeigt die Städtische Galerie im Kornhaus Nachbilder des Dreißigjährigen Krieges von Till Ansgar Baumhauer. Sie sind nicht schön, aber notwendig. Von Peter Dietrich

Krieg sieht stets sehr ähnlich aus, wie Till Ansgar Baumhauer zeigt: vor 400 Jahren in Deutschland, heute in Afghanistan.Foto: P
Krieg sieht stets sehr ähnlich aus, wie Till Ansgar Baumhauer zeigt: vor 400 Jahren in Deutschland, heute in Afghanistan. Foto: Peter Dietrich

Da vergeht einem ja der Appetit“, sagte eine Besucherin der Vernissage mit einer Brezel in der Hand. Die Gewalt überrascht den Zuschauer in der Ausstellung teils auf hintergründige Art. So fordert in der Installation „Patch Perversions“ aus dem Jahr 2016 einer der vielen Stoffaufnäher als „Taliban Photo Center“ den Benutzer dazu auf, wie in einem dieser Fotoautomaten auf den Blitz zu warten. Im Gesicht des dargestellten Benutzers ist jedoch zugleich ein Fadenkreuz eingezeichnet, dieser „Blitz“ wird wohl tödlich sein.

„RE/ENACTMENT - Nachbilder des Dreißigjährigen Krieges“ heißt die Ausstellung. Sie ist eine Folge der 2015 abgeschlossenen Dissertation von Till Ansgar Baumhauer. In dieser hat der Künstler einen Vergleich der visuellen Darstellung des Dreißigjährigen Krieges von 1618 bis 1648 und des Afghanistankrieges unternommen. Diese Untersuchung war mit einem längeren Aufenthalt in Afghanistan verbunden. Dort war der Künstler unter anderem als archäologischer Zeichner tätig. Die Ausstellung eröffne viele Fragen, sagte der Kurator Florian Stegmaier bei der Vernissage, Fragen zum Verhältnis von Kunst und Forschung und zu den Grenzen der Kunst.

Keine Grenzen legt sich der Künstler im Umgang mit Materialien auf: Öl auf Leinwand ist ebenso vertreten wie Kunstharzlack auf Aluminium, Wolle auf Kunstfasergewebe und Holz mit Intarsien aus Knochen und Plastik. Till Ansgar Baumhauer hat die Werke nicht alleine geschaffen, er dankte deshalb seinen namentlich genannten künstlerischen Partnern, darunter Schnitzer und Teppichknüpfer aus Herat, Afghanistan, Künstler aus Ecuador und China und solche, die sonst in Pakistan Lastwagen und Rikschas mit Klebefolien verzieren. Die Ausstellung arbeitet auch mit Texten. Das Gedicht „Thränen des Vaterlandes“ von Andreas Gryphius aus dem Jahr 1636 wurde in Herat zuerst übersetzt, danach haben es Kalligrafen weiter bearbeitet und gestaltet.

Woher kommen Feindbilder?

Dem Betrachter könnten beim Besuch der Ausstellung noch ganz andere, sehr politische Fragen kommen: Sind Feindbilder eigentlich übertragbar? Ist womöglich zuerst das politische Bedürfnis nach einem Feind da, den die politischen und militärischen Eliten dann suchen und anschließend ihrem Volk die Feindschaft verordnen? Egal, ob es früher „Jeder Stoß ein Franzos‘“ hieß, wie es Till Ansgar Baumhauer auf ein T-Shirt gedruckt hat, oder die angeblichen Feinde heute eben weiter weg sind?

Woher kommen beim Krieg Verdruss und Verdrängung? Das Geschichtswissen junger Leute bleibe oft zu abstrakt, sagte die Stuttgarter Professorin Dr. Judith Siegmund in ihrer Einführung. Sie zitierte ausgiebig den Journalisten und Historiker Matthias Lohre: Niemand fühle mit einer anonymen Zahl von Todesopfern, Flüchtlingen oder Hungernden, habe die Zahl auch noch so viele Nullen. Es brauche Gefühl und persönliche Beziehung. Wessen Großeltern noch leben, der habe jetzt die letzte Möglichkeit, deren Kriegsgeschichte zu hören.

Schon im Dreißigjährigen Krieg sei versucht worden, so Judith Siegmund weiter, die Angst, die Gräueltaten und den Schrecken in Bilder zu fassen. Till Ansgar Baumhauer habe eine Verbindung von den Archivbildern gezogen zur heutigen Situation in Afghanistan. Auch Judith Siegmund stellte viele Fragen: Werden die Ko-Autoren aus Afghanistan als Vertreter ihrer traditionellen Teppichkunst angesprochen oder als moderne Künstlerkollegen? Handelt es sich bei diesen Darstellungen vielleicht einfach um ein Geschäftsmodell? Die Preise der überwiegend verkäuflichen Werke reichen bis 10 900 Euro.

 

Die Ausstellung in der Städtischen Galerie im Kirchheimer Kornhaus ist bis 21. Oktober zu sehen, dienstags bis freitags von 14 bis 17 Uhr, am Wochenende von 11 bis 17 Uhr.