Kirchheim

Liebe ist, nicht zu lange zu überlegen

Jubiläum Silvija und Hermann Neumann feiern morgen diamantene Hochzeit. Begonnen hatte ihre Liebe per Post.

Statt einer Feier fahren die beiden mit Tochter und Enkeln nach Kroatien.Foto: Carsten Riedl
Statt einer Feier fahren die beiden mit Tochter und Enkeln nach Kroatien. Foto: Carsten Riedl

Kirchheim. Sie hieß Bozena, wohnte in Kroatiens Hauptstadt Zagreb und hatte offenbar keine Lust mehr aufs Briefeschreiben mit einem 17-jährigen Gelsenkirchener. „Geschrieben habe ich Bozena, geantwortet hat Silvija“, erzählt Hermann Neumann und lächelt verschmitzt. Silvija hatte eine größere Motivation: „Ich musste die Schule abbrechen, weil mein Vater gestorben war“, erinnert sie sich an die harte Zeit in ihrer Heimat. Ihre Deutsch-Lehrerin wollte aber, dass sie weiter Deutsch praktiziert und vermittelte ihr die Briefadresse vom fleißigen Brieffreund aus dem Ruhrgebiet.

Drei Jahre schrieben sich die beiden gleichaltrigen Heranwachsenden. Die späten 50er-Jahre des vorigen Jahrhunderts, lange vor Facebook und Billigflügen, erforderten Geduld: Fotos wurden mit den Briefen per Post geschickt, Antworten dauerten. Die Zeit verging, ohne dass man sich persönlich getroffen hatte. Schließlich nahm sich Hermann, der mittlerweile eine Arbeit in der Schweiz gefunden hatte, ein Herz und fuhr mit dem Zug von Zürich nach Zagreb. Es war der 1. August 1958, als der hoch aufgeschossene Gelsenkirchener die zierliche Silvija das erste Mal sah. „Sie hatte eine weiße Bluse, einen roten Rock und blonde Haare. Da schlug sofort der Blitz ein“, sagt Hermann Neumann. Und wie war es bei ihr? „Ich war nicht sofort so angetan“, sagt Silvija Neumann und muss lachen. Immerhin gab es in den darauffolgenden 14 Tagen schon die „ersten Signale“. Nicht nur das, auch den ersten Kuss gab es bereits. Sonst wäre Hermann wohl kaum an Weihnachten 1958 wieder nach Zagreb gekommen, um sich mit Silvija zu verloben. Geheiratet wurde dann beim dritten Treffen ein halbes Jahr später, am 9. Mai 1959.

Erste Begegnung mit Deutschen

Beruflich hatte sich mittlerweile einiges geändert bei Hermann Neumann, und die Frischvermählten zogen nach Wendlingen, denn bei der dortigen Modell- und Formenbaufirma Deuschle hatte Hermann eine Anstellung bekommen. Mit zwei Koffern kamen sie nach Deutschland.

„Der Anfang war schwer“, erzählt Silvija Neumann. Sie kannten niemanden und die Arbeit in der Fabrik von Bauknecht war hart. „Ich hatte in Kroatien einen guten Job, den ich aufgegeben habe“, erzählt sie. Doch die beiden bissen sich durch, Silvija nähte später zu Hause für eine Firma, 1960 kam Tochter Cindy zur Welt. Schwaben wurde für die Kroatin ihr neues Zuhause, sie schloss schnell Kontakte. „Ich bin in Kroatien geboren, meine Heimat ist aber Deutschland. Unsere besten Freunde sind Schwaben“, sagt sie überzeugt.

Vielleicht war es ihr Schicksal, dass sie einen Deutschen heiraten sollte. Denn ihre frühen Erinnerungen haben mit Deutschen zu tun. Als Kind war sie während des Krieges Ziegen hüten bei ihrer Tante in Karlovac. „In der Nähe waren deutsche Soldaten in der Scheune untergebracht. Es war Winter und ich fror. Eines Morgens kam ein Soldat und gab mir seinen Mantel. Er war Schneider und hatte den warmen Mantel extra für mich umgenäht. Ich habe ihn an seine Tochter erinnert, sagte er mir.“ Silvija kommen bei der Erinnerung die Tränen.

Bei ihr war es Vorbestimmung, bei Hermann seine Unbekümmertheit. Da können Lebensentscheidungen manchmal ganz einfach sein: Als der 21-Jährige damals seinen Eltern sagte, er wolle Silvija aus Kroatien heiraten, fragte ihn sein Vater: „Hast du dir das gut überlegt?“ Hermanns Antwort: „Nein, überhaupt nicht.“ Aus der unüberlegten Entscheidung sind 60 Jahre geworden.Thomas Zapp