Kirchheim

Lust und Frust in der Grauzone

Die Zwei-Meter-Regel im Wald spaltet nach wie vor Wanderer und Mountainbiker

Ein alter Konflikt, neu entflammt: Die Frage, ob schmale Wanderwege auch Radlern zur Verfügung stehen sollen, hat längst auch eine wirtschaftliche Dimension. Mountainbike-Tourismus boomt – nicht nur auf der Alb.

Nicht immer verläuft eine Begegnung zwischen Wanderern und Mountainbikern konfliktfrei. Foto: Jean-Luc Jacques
Nicht immer verläuft eine Begegnung zwischen Wanderern und Mountainbikern konfliktfrei. Foto: Jean-Luc Jacques

Kirchheim. Dicke Stollenreifen hinterlassen Abdrücke. Nicht nur in der Natur, sondern auch in den Umsatzbüchern von Hotellerie und Gastronomie entlang des Albtraufs. Mountainbiking boomt. Egal, ob leistungsorientiert zu Trainingszwecken oder als ganz entspannter Freizeitausgleich. Die rasante Fahrt über Felsstufen und Wurzelwege macht den Reiz der Sportart aus, doch nicht jedem Wanderer gefällt‘s. Dass der Konflikt nach wie vor schwelt, hat der tragische Tod eines Bikers im oberen Lenninger Tal vor Augen geführt. Ein Sturz in unwegsamem Gelände wurde dem Mann vor einigen Wochen zum Verhängnis. Danach brachen in den sozialen Medien alte Gräben wieder auf.

Rad fahren im Wald ja, aber nur auf Wegen mit einer Mindestbreite von zwei Metern. Paragraf 37 im Landeswaldgesetz ist bundesweit einmalig. Und für viele Interessensgruppen inzwischen ein alter Zopf. Im Sommer 2014 versuchten knapp 60 000 Unterzeichner, die Zwei-Meter-Regel per Petition zu kippen – ohne Erfolg. Dabei gilt schon lange: Keine Regel ohne Ausnahme. Weil schmale Pfade – sogenannte Singletrails – das Salz in der Suppe für jeden Biker sind, können Landkreise und Kommunen mit ihren Forstverwaltungen inzwischen selbst entscheiden, wie sie mit dem Thema umgehen.

Selbst Traditionalisten und langjährige Kritiker denken inzwischen um. Der Deutsche Alpenverein (DAV) hat sich vergangenes Jahr in einem Positionspapier klar zum Mountainbikesport bekannt. Die Erkenntnis: Biker fahren nun mal in die Berge, ob mit oder ohne DAV. Im Schwarzwaldverein, einem der größten Interessensvertreter im Land, sieht man das inzwischen ähnlich. Wenn du einen Trend schon nicht aufhalten kannst, dann nutze ihn. Selbst Albvereins-Ortsgruppen bieten in der Sorge um Nachwuchs immer häufiger Mountainbiketreffs an.

Und im Landkreis Esslingen? Dort sieht man das Potenzial der radelnden Zunft für den Tourismus ebenfalls, unterscheidet aber klar. Der 400 Kilometer lange Bike-Crossing-Trail von Aalen bis nach Tuttlingen führt durch den Kreis und wird kräftig beworben, mit dem Neckar-Radweg bedient man die Tourenfahrer. „Beim Biken auf Singletrails“, sagt Landratsamts-Sprecher Peter Keck, „sehen wir vor allem das Konfliktpotenzial mit anderen Nutzern und die Gefahr für die Biker.“ Für den Kreis Esslingen bedeutet das: Ausnahmen von der Regel gibt es hier nirgendwo.

Geahndet werden Verstöße allerdings so gut wie nie. Martin Gienger, einer von zwei Albrangern des Landkreises, trifft häufig Biker auf verbotenen Pfaden an. Mehr als auf Gefahren und Rechtslage hinzuweisen, bleibt ihm nicht. „Wir haben schließlich keine Polizeigewalt“, sagt Gienger. „Was wir versuchen, ist Überzeugungsarbeit zu leisten.“

Der Bannstrahl trifft vor allem Sportler hart. Knapp 100 Kinder und Jugendliche betreiben im SV Reudern mit Begeisterung Mountainbikesport. Schon die Kleinsten sind erfolgreich bei überregionalen Rennen am Start. Zur Freude an der Bewegung gesellt sich bei allen die Freude am Draußensein. Eigentlich eine tolle Sache. Wäre die Radsportabteilung mit der viel gelobten Nachwuchsarbeit nicht auf technisch anspruchsvolles Trainingsterrain angewiesen.

„Ein heikles und gleichzeitig trauriges Thema“, meint der Sportliche Leiter des SV, Oliver Felten. Bei einer Trainerschulung vor Kurzem in der Landessportschule in Albstadt hat er sich mit Kollegen ausgetauscht. Die Probleme sind fast überall die gleichen. Wer vor Ort ausreichend ausgewiesene Trails vorfindet, hat Glück. Allen anderen bleibt nur die Grauzone. „Oft sind genau die Wege verboten, auf denen es die wenigsten Berührungspunkte mit Wanderern gibt“, sagt der 53-Jährige, der regelmäßig mit bis zu 20 Kindern im Wald unterwegs ist. Dabei sind seine Erfahrungen fast durchweg positiv. „Wir halten unsere Kinder dazu an, Wanderer zu grüßen und sich zu bedanken, wenn sie kurz den Weg für uns freigeben“, sagt Felten. Dadurch lasse sich schon vieles entschärfen. „Die paar wenigen, die uns trotzdem beschimpfen, die stören sich vermutlich auch daran, dass die Sonne scheint.“

Vernunft statt dicke Luft

Wenn zwei sich streiten, bleibt meist etwas auf der Strecke, und sei es nur das gemeinsame Naturerlebnis. Der Interessenskonflikt zwischen Wanderern und Mountainbikern ist Sinnbild für vieles, was schiefläuft im gesetzlich geregelten Miteinander. Nicht jedes Dekret, das Recht und Unrecht trennt, ist geeignet, um Probleme aus der Welt zu schaffen. In einer Freizeitgesellschaft, die sich die Natur als Konsumgut zu eigen gemacht hat, sind Gut und Böse nur schwer auseinanderzuhalten. Ein Wanderer, der mit dem Auto zum Ausgangspunkt startet, hat gegenüber dem Radler, der auf schmalen, aber befestigten Pfaden allein auf Muskelkraft setzt, keinen moralischen Vorteil. Gleichzeitig handeln Biker, die im Naturschutzgebiet durch Grasnarben pflügen, gedankenlos und töricht.

Die Zwei-Meter-Regel im Landeswaldgesetz gilt seit mehr als 20 Jahren, und die Praxis zeigt: Ein verantwortungsvoller Umgang mit der Natur, gegenseitiger Respekt und Rücksichtnahme auf Wanderwegen lassen sich weder metrisch bemessen noch per Gesetz erzwingen. Dass ein friedliches Nebeneinander möglich ist, zeigen nicht nur Länder wie Italien oder einzelne Kantone in der Schweiz, sondern auch die eine oder andere Schwarzwaldgemeinde. Wo man mit Hinweisschildern an die Vernunft gleichberechtigter Weggefährten appelliert, herrscht selten dicke Luft.

BERND KÖBLE