Kirchheim

Luxusgut Wohnraum

Fachforum Die Stadt Kirchheim hat Bürger in die Stadthalle eingeladen, um über das unter den Nägeln brennende Thema Wohnen nachzudenken – und neue Ideen zu entwickeln. Von Iris Häfner

Wohnen neu denken - Oberbürgermeisterin Matt-Heidecker lädt zum öffentlichen Fachforum Wohnen für Bürger und FAchleute in die St
Wohnen neu denken - Oberbürgermeisterin Matt-Heidecker lädt zum öffentlichen Fachforum Wohnen für Bürger und FAchleute in die Stadthalle ein. Es geht um die Wohnproblematik in der Stadt.

Wohnen - das ist das alles beherrschende Thema, das vielen Menschen unter den Nägeln brennt. Die Region Stuttgart boomt, die Stadt Kirchheim besticht durch ihre Attraktivität. Aber: Wohnraum ist knapp und viel (ererbtes) Geld vorhanden bei einer Null-Zins-Politik. Deshalb legen solvente Menschen ihr Geld gerne in Immobilien an - auch zu Bedingungen, die manche nur den Kopf schütteln lassen. Deshalb lud die Stadt Kirchheim zum Fachforum Wohnen in die Stadthalle ein.

 

„Wir sind lange davon ausgegangen, dass die Bevölkerungszahlen schrumpfen. Tatsache aber ist, dass es einen großen Zuzug in die Region Stuttgart gibt“, sagte Oberbürgermeisterin Angelika Matt-Heidecker. Viele Menschen gehen demnächst in Rente, bleiben jedoch an ihrem angestammten Ort wohnen. Ihre Tätigkeit sollen andere übernehmen, doch die finden immer seltener bezahlbaren Wohnraum.

 

„Wohnen neu denken - Wohnen mit (in) Zukunft“ lautete deshalb die Überschrift des Forums. Mit Dr. Winfried Kösters hatte die Stadt einen kompetenten Moderator an der Hand.

 

Die Stadthalle war rund bestuhlt, im Innenring saß eine bunt gemischte Runde, die Winfried Kösters gezielt der Reihe nach befragte, um einen Überblick für die Teckstadt zu bekommen. „Wohnen ist eines der obersten Menschenrechte. Das hat der Gemeinderat auch eindeutig erkannt“, sagte Angelika Matt-Heidecker. Über 1 000 Wohneinheiten werden in der Kernstadt in den nächsten Jahren entstehen. Für Stadtplaner Gernot Pohl geht es darum, die Menschen nicht in Sardinenbüchsen unterzubringen, Plattenbauten kommen für ihn nicht infrage. „Die Welle der Urbanisierung spielt uns in die Hände. Es geht darum, konsumfrei seine Zeit im öffentlichen Raum zu verbringen“, erklärte er. Barrierefrei, preiswert, unterschiedliche Lebensstile waren Schlagworte von Brigitte Hertmann-Theel, Leiterin der Abteilung Soziales bei der Kirchheimer Stadtverwaltung. Immer mehr Menschen sind ohne Wohnung. Die Gründe dafür sind beispielsweise Trennung vom Partner, Kündigung oder das Alter. „Die Nachbarschaftlichkeit gewinnt immer mehr an Bedeutung“, so Hartmann-Theel.

 

Schatzkiste gepflegt

 

Noch nie in dieser Form eine Nachfrage nach Immobilien in Kirchheim erlebt hat Friedrich Lebküchner, Leiter Immobilien und Baufinanzierung bei der Volksbank Kirchheim-Nürtingen. „Man muss vorsichtig sein, dass man sich finanziell nicht übernimmt“, ist seine Erfahrung. Von „sehr viel Nachfrage von außen“ kann Gregor Küstermann von Haus und Grund berichten. „Kirchheim hat seine Schatzkiste immer gepflegt, und jetzt kommt noch die S-Bahn dazu“, nennt er als Gründe.

Winfried Kösters führte gekonnt durch das Forum in der Stadthalle. Fotos: Jean-Luc Jacques
Winfried Kösters führte gekonnt durch das Forum in der Stadthalle. Fotos: Jean-Luc Jacques

 

Den Wunsch nach gemeinschaftlichem Wohnen, auch generationenübergreifend, hört der Kirchheimer Architekt Matthias von Schroeder immer öfter. Ein Manko: Es gibt zu wenig Anschauungsobjekte vor Ort. „Die Leute denken früher darüber nach, wie sie im Alter leben wollen“, ist die Erfahrung seines Kollegen Matthias Gütschow.

 

„Die Bewohner leben mehr nebeneinander als miteinander“, erlebt Bernd Weiler von der Kreisbau. Konkret wurde es bei Hans-Peter Birkenmaier von der gleichnamigen Wohnbaufirma. Der Sanitärinstallateur, der für sein Unternehmen tätig ist, sucht dringend Mitarbeiter. Ein qualifizierter Mitarbeiter aus Ostdeutschland wurde gefunden - nur leider fand der keine Wohnung und ging deshalb notgedrungen wieder in die Heimat zurück. Dem Markt freien Lauf lassen, sieht selbst er als Bauunternehmer kritisch, weil dann nur Mittel- und Hochpreiswohnungen entstehen und ein Altenpfleger keine Wohnung findet. Sozialbauverpflichtung sieht er als Lösung.

 

„Wir müssen uns im Kopf klar werden, was wir wollen, und dann die Ärmel hochkrempeln“, sagte Dr. Ernst Bühler von den Medius-Kliniken. Er befürchtet ein neues Prekariat, das durch die Digitalisierung entsteht, wenn Arbeitsplätze wegfallen. Flexibles Bauen lautete sein Schlagwort, sodass sich - wenn die Menschen älter sind - die Wohnungen leicht umbauen lassen.

 

Grün- und Freiflächen in der Innenstadt will Hans-Joachim Lückefett von „Demokratie Direkt Kirchheim“ erhalten und nicht Wohnungen für Flüchtlinge opfern. Diese Gruppe sollte möglichst „eingestreut“ werden. „Ich baue Wohnungen für meine Angestellten“, sagte Stefan Russ vom gleichnamigen Autohaus. Um neue Mitarbeiter an sich zu binden, müsse er etwas bieten. Er hat sich deshalb für das Steingau-Quartier beworben.

Bezahlbarer Wohnraum ist das Hauptthema

Den Teilnehmern des Fachforums wurde einiges abverlangt. Das dreieinhalbstündige Programm hatte es in sich und wurde stramm und kompetent von Moderator Winfried Kösters durchgezogen. Wer wollte, konnte sich zu Wort melden, entscheidend war jedoch die Gruppenarbeit. Zu viert oder fünft wurden die Themen benannt, die besonders wichtig erscheinen. Die wurden dann auf Post-it-Karten geschrieben, die Winfried Kösters unter Schlagworten sammelte. Jeder erhielt drei Punkte, die er einem der Karteikärtchen vergeben konnte.

Vier Themen erhielten mit Abstand die meisten Punkte. Spitzenreiter mit 27 war das Stichwort „Bezahlbarer Wohnraum“. Mit 22 roten Punkten folgte die Karte „Neue Wohnformen“. Der „Leerstand“ ist ebenfalls ein wichtiges Thema, 21 „Bebber“ fanden sich auf diesem Zettel. Auf Platz vier landete mit 15 Punkten der „Mietwohnungsbau“. Von einem klaren Votum sprach deshalb Winfried Kösters.

Der Referent konnte mit einigen interessanten Zahlen und Fakten in seinem Vortrag die Zuhörer überraschen. Rund 40 000 Einwohner hatte Kirchheim im Jahr 2015. Der Ausländeranteil betrug 16,6 Prozent. Nahezu gleich mit 16,7 Prozent war der Anteil der unter 18-Jährigen, 20,3 Prozent der Einwohner waren über 65 Jahre alt. Der Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund in den Kindertagesstätten belief sich auf 39 Prozent. Beispiel Bauindustrie: 42 Prozent der Unternehmen konnten 2016 ihre Ausbildungsplätze nicht besetzen.

Das Schlusswort auf der Leinwand hatte Lukas Podolski: „Jetzt müssen wir die Köpfe hochkrempeln. Und die Ärmel natürlich auch.“ ih