Kirchheim
Mehr Geld für Pflegekräfte

Online-Diskussion Der Landtagsabgeordnete Andreas Kenner sprach mit seiner Parteikollegin Heike Baehrens, Pflegebeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion, über das Thema „Ohne Angst alt werden“. Von Iris Häfner

Die beiden kennen sich, verstehen sich, sprechen dieselbe Sprache. Das war schon nach wenigen Sätzen klar. Der Wahlkampf in Corona-Zeiten eröffnet neue Wege - neue Formate werden genutzt. So waren Andreas Kenner und Heike Baehrens auf Facebook zu sehen und hören. „Anne“ Kenner, hiesiger SPD-Landtagsabgeordneter und Altenpfleger, hat zur Online-Podiumsdiskussion zum Thema „Ohne Angst alt werden! - Pflege braucht Rückenwind“ mit Heike Baehrens, Bundestagsabgeordnete aus dem Wahlkreis Göppingen und Pflegebeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion, eingeladen.

Da wurde nicht lange um den heißen Brei herumgeredet. Rund 1,6 Millionen Menschen arbeiten in Deutschland in Pflegeberufen, sei es in der Altenpflege oder im Krankenhaus. „Alle reden von der Automobilbranche, aber in der Pflege arbeiten so viele Menschen wie in keiner Industrie“, sagte Andreas Kenner. Deshalb bedauert es Heike Baehrens, dass sie nicht gewerkschaftlich organisiert sind. „Die Macht der IG-Metall steht dahinter, dass die Arbeitnehmer im Automobilbau so gut verdienen“, sagte sie. Das würden die Pflegekräfte völlig außer Acht lassen. „Sie konzentrieren sich auf ihre Arbeit und kümmern sich nicht um die eigenen Interessen. Dieses Thema ist uralt“, erklärte sie und Andreas Kenner pflichtete ihr bei. Immer wieder bekomme er zu hören, dass die Pfleger so viel jammern. „Die anderen werden nicht für uns kämpfen. Durch Corona sind wir in den Blickpunkt geraten, das können wir ausnutzen“, sagte er.

Diesen Rückenwind sieht auch die Göppinger Politikerin. „Viele merken plötzlich, wie wichtig die Pflegekräfte sind. Es wurde nicht nur Beifall geklatscht, es gab auch den Pflegebonus“, freut sie sich. Das Ansehen dieses Berufs müsse gesteigert werden, schließlich sei er sehr anspruchsvoll. Es gibt keine regelmäßige Arbeitszeit, jedes zweite Wochenende muss gearbeitet werden, zudem müssen Nachtschichten geleistet werden. Das hat Auswirkungen auf Freizeit und Familie. Da sprach sie dem Fußballfan Andreas Kenner aus der Seele. Einem Zivi versuchte er so gut es ging, die Sonntage für seine Spiele freizuhalten. Bessere Planbarkeit war das Stichwort für Heike Baehrens: „Die Organisation muss optimiert werden, sodass es möglich ist, zum Training, zur Musikvereinsprobe oder zum Volkshochschulkurs gehen zu können.“

Weiterer großer Kritikpunkt: Zugunsten der Rentabilität wurde Personal abgebaut. „In der Pandemie zeigt sich in den Krankenhäusern, dass man keine Luft mehr hat, um individuell planen zu können. In den Pflegeheimen ist das noch ein größeres Problem. Hier gibt es 30 Prozent zu wenig Personal“, wurde Heike Baehrens deutlich. Aus ihrer Sicht sollte es viel mehr Hilfs- und Assistenzkräfte geben, damit sich das gut ausgebildete Personal den schwierigen Aufgaben widmen kann. Die enorme Mangelsituation mache sich in der Pandemie deutlich bemerkbar. „Die Pflegekräfte sind bis an die Grenze belastet, jetzt kommen noch Zusatzaufgaben hinzu, etwa die Corona-Tests und vieles mehr - und die Ehrenamtlichen fallen weg. Das sind große Belastungen. Dazu kommt noch die Sorge, die Bewohner anzustecken - oder selbst an Covid-19 zu erkranken.“

Wie also den Beruf für Nachwuchskräfte attraktiv gestalten? Einstmals war die sonntags geleistete Arbeit steuerfrei. Das würden die beiden SPD-Politiker gerne wieder einführen. „Man sieht ja jetzt, dass wir systemrelevant sind“, sagte Andreas Kenner und Heike Baehrens ergänzte: „Für die Pflegekräfte brauchen wir Tarifverträge.“ Gegen diese Forderung würden jedoch viele Arbeitgeber Sturm laufen, was sie für skandalös hält. In Baden-Württemberg sei die Situation jedoch vergleichsweise gut, in anderen Regionen hätten die Pfleger aber bis zu 800 Euro pro Monat weniger im Geldbeutel. Das wiederum wirkt sich auch auf die Altersversorgung aus.

Altenpflege ist aus Sicht von Andreas Kenner ein toller Beruf für Frauen nach der Familienphase. „Mit 45 Jahren können sie das erste Praktikum machen, mit 48 sind sie ausgebildet - und mit 52 können sie dann Stationsleiterin sein“, zeigte er auf. Insbesondere Mütter mit Migrationshintergrund seien oft erst Ende dreißig, wenn die Kinder aus dem Gröbsten rausgewachsen seien. „Diese Frauen müssen wir für die Pflege gewinnen“, erklärte Andreas Kenner.