Kirchheim

Mehr Meinung wagen

Parteien Die SPD steckt in der Krise und muss sich neu erfinden. Das meinen langjährige Mitglieder aus dem Landkreis Esslingen dazu. Von Thomas Zapp und Alexander Meier

Ein Bild aus glücklicheren Tagen: SPD-Parteichefin Andrea Nahles und Rainer Arnold im Wahlkampf 2013 vor dem Kirchheimer Rathaus
Ein Bild aus glücklicheren Tagen: SPD-Parteichefin Andrea Nahles und Rainer Arnold im Wahlkampf 2013 vor dem Kirchheimer Rathaus. Archiv-Foto: Jean-Luc Jacques

Grundsätzlich sei es richtig, in der Großen Koalition zu bleiben und sich auf die Sacharbeit zu konzentrieren. „Aber der Glaube, dass man allein damit aus dem Tief herauskommt, ist ein Irrtum“, sagt der ehemalige Nürtinger SPD-Bundestagsabgeordnete Rainer Arnold. Wie er machen sich viele altgediente SPDler im Landkreis Gedanken über das Tief ihrer Partei, die bei Umfragen bundesweit nur noch auf 17 Prozent der Stimmen käme.

Das politische Klein-Klein hole keine Wähler zurück, es müsse eine neue Diskussion in der Partei über die großen politischen Themen geben wie Europa oder die Auswüchse der Globalisierung, meint Arnold, der seit 1972 Mitglied der SPD ist. Arnold stellt in der Gesellschaft einen Trend zur Individualisierung fest und ein zunehmendes Misstrauen gegenüber Solidarität, einem der zentralen SPD-Themen.

Die langährige SPD-Landtagsabgeordnete Carla Bregenzer aus Frickenhausen vermisst bei ihrer Partei die schärfere Abgrenzung gegen die CDU und vor allem die CSU. Generell sei die SPD keine Partei der einfachen Antworten, zieht Bregenzer eine Trennlinie zu den Populisten. Die Entscheidungsfindung sei immer schwieriger in der SPD gewesen, als in anderen Parteien. Auch seien die Wähler kritischer, wenn es mal nicht so läuft. „Der CDU-Wähler wählt weiter konservativ, auch wenn er nicht zufrieden ist“, glaubt sie. Der SPDler gehe dann eher zu den Grünen, wenn die klarer Position beziehen. Teilweise macht sie in den Medien auch ein „SPD-Bashing“ aus. „Nehmen Sie das Beispiel Hartz IV. Es gab in der Vergangenheit immer wieder Ansätze, das System zu verändern. Aber seit Andrea Nahles das Thema aufgebracht hat, hören sie plötzlich von überall her, wie toll es ist.“

Arnold und Bregenzer stimmen darin überein, dass es „den“ Arbeiter als klassischen SPD-Wähler nicht mehr gibt. Dennoch glaubt Arnold: „Leute, die mit ihrer Hände Arbeit und mit ihrem Kopf ihr Geld verdienen.“ Damit grenze man sich von den Grünen ab. „Die werden von denen gewählt, die aus der Stadt aufs Land gezogen sind, in einem Einfamilienhaus wohnen und darauf achten, dass bei ihnen keiner vor der Nase baut.“ Alles zu bewahren wie es ist, funktioniere nicht. „Jeder weiß, wie schnell sich die Dinge ändern, das macht vielen Angst. Aber wer sagt denn, dass Veränderung immer Schlechtes bringt?“ Wichtig sei es, den Wandel politisch zu gestalten.

Führungsschwäche und falsche Themensetzung macht Fritz Uli Bankwitz aus, der 33 Jahre für die SPD im Gemeinderat von Kirchheim tätig war. „Die Parteiführung hat zuletzt nicht gut ausgesehen“, findet er. Als zu laut und zu aufgeregt habe er seine Parteichefin empfunden. Inhaltlich kommt dem Architekten das Thema „Europa“ in der Partei viel zu kurz. „Das hat man sich von den Grünen aus der Hand nehmen lassen.“ Bankwitz glaubt, dass man damit offene, junge Leute gewinnt. „Die verstehen doch nicht, wie man dagegen sein kann.“

Vor allem gegen den Populismus fordert Rainer Arnold eine stärkere Positionierung der SPD. Sein Anliegen ist es, die Protestwähler von Parteien wie der AfD zurückzuholen. „Ich habe in persönlichen Gesprächen sehr oft gehört: „Ich wähle die, um ein Zeichen zu setzen, damit ,ihr‘ mal aufwacht“, sagt Rainer Arnold. Da müsse man als SPD auch unangenehme Themen anpacken wie Migration oder die Sorge, durch den digitalen Wandel arbeitslos zu werden. „Es ist falsch, zu sagen, das Thema Migration ist gefährlich, da sage ich am besten nichts.“ Allerdings sei es fatal, wenn dabei Ängste weiter geschürt werden, anstatt vorhandene Probleme und deren Lösungen konkret zu diskutieren.

Bei allen Problemen sollte die SPD aber eine Volkspartei bleiben, meint Siegmar Mosdorf, von 1990 bis 2002 Esslinger SPD-Bundestagsabgeordneter. „Manche spekulieren über das Ende der Volksparteien. Die positiven Entwicklungen der letzten Jahre zur Individualisierung und zur Globalisierung haben eine Kehrseite: Jeder denkt nur noch an sich - statt Gemeinwohl steht das Eigenwohl an erster Stelle. Umso wichtiger ist es, den Zusammenhalt zu organisieren. Das war und ist die Funktion der Volksparteien.“ Widerstrebende Meinungen sind dabei erwünscht. „Die SPD muss von der Spitze her wieder Spielräume für die Vielfalt der Meinungen nicht nur zulassen, sondern geradezu organisieren“, meint Mosdorf.

Dennoch: Carla Bregenzer macht die gute Arbeit der SPD auf kommunaler Ebene Hoffnung für die Zukunft. Nur müsse die SPD als Partei neu formulieren, was künftig wichtig ist. „Da sind jetzt die Jungen gefragt“, meint sie.