Kirchheim

Mehr Rücksicht für die Wildtiere

Wildunfälle Rund 20 Rehe werden jedes Jahr im Bereich des Naturschutzzentrums Schopflocher Alb überfahren. Außerdem wird der Wald immer mehr zum Sport- und Freizeitgebiet. Von Daniela Haußmann

Mehr Rücksicht für die Wildtiere
Mehr Rücksicht für die Wildtiere

Die Freizeitnutzung von Landschaft und Natur hat in den vergangenen Jahrzehnten drastisch zugenommen. „Wälder werden in hohem Maße als Sport- und Freizeitgebiet genutzt“, weiß German Kälberer. „Die Bedürfnisse von Wildtieren bleiben dabei meist auf der Strecke.“ Die Tiere leiden unter dem wachsenden Freizeitdruck. „Ihnen gehen mehr und mehr Rückzugsorte verloren“, berichtet der stellvertretende Kreisjägermeister. Zu jeder Jahreszeit und bis spät in die Nacht hinein, werden Reh und Co. von Erholungssuchenden gestört, wie der Vertreter der Jägervereinigung Kirchheim kritisiert.

Frieder Blocher, der das Jagdgebiet rund um das Naturschutzzentrum (NAZ) Schopflocher Alb gepachtet hat, stieß schon nachts um 1.30 Uhr auf Sportler, die sich mit der Stirnlampe am Kopf ihren Weg durch den Forst bahnten. „Vielen ist gar nicht bewusst, dass sie die Tiere aufschrecken und zum Wegrennen zwingen“, sagt der Waidmann. „Gerade im Winter sind die Folgen fatal, denn die Rehe drosseln ihren Energiebedarf in dieser Zeit um bis zu 60 Prozent.“ Müssen sie flüchten, geraten sie unter Stress und ihr Nahrungsbedarf, den sie bei Schnee und Minusgraden nur schwer decken können, schnellt nach oben. „Für geschwächte Tiere kann das lebensbedrohlich sein“, so Blocher. Das NAZ ist ein beliebtes Ausflugsziel. „Gerade an den Wochenenden sind rings um Schopfloch jede Menge Menschen auf den Beinen“, erzählt Frieder Blocher. „Das NAZ stimmt die Routen für seine Schneeschuh-Wanderungen und für andere Angebote mit uns Jägern ab, um zu gewährleisten, dass das Wild nicht gestört wird.“ NAZ-Leiter Wolfgang Wohnhas betont, dass die Besucher explizit dazu angehalten werden, auf den Wegen zu bleiben und Hunde anzuleinen. Trotzdem registriert Frieder Blocher, dass die Hinweise nicht immer beherzigt werden. Im Jagdgebiet des Waidmannes werden jedes Jahr rund 20 Rehe von Autos erfasst und getötet. Laut German Kälberer ein „Spitzenwert“ im Einzugsgebiet der Jägervereinigung Kirchheim.

Die Landstraße, die am NAZ vorbeiführt, ist dem Waidmann zufolge ein empfindlicher Punkt. „Wird das Rehwild gestört und zur Flucht gezwungen, quert es häufig die Verkehrsader“, berichtet Kälberer. „Einerseits suchen die Tiere auf der gegenüberliegenden Straßenseite Schutz, andererseits treibt es viele Rehe dorthin, um auf der Flur ihren Nahrungsbedarf zu decken.“ Auf der Landstraße sind 100 Stundenkilometer erlaubt. Laut Frieder Blocher sind aber etliche Verkehrsteilnehmer deutlich schneller unterwegs. „Um die Zahl der Wildunfälle zu senken, wäre im Bereich der Doppelkurve eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 Stundenkilometer sinnvoll“, fordert German Kälberer. Wolfgang Schwarz vom Landratsamt Esslingen ist bislang nicht bekannt, dass der Bereich um das NAZ ein Wildunfallschwerpunkt ist. Der Leiter des Straßenbauamtes will den Fall aber prüfen.

Doch Wildunfälle sind nicht die einzige negative Folge, die das Freizeitverhalten von Menschen nach sich zieht. Da viele bis tief in die Nacht hinein im Wald unterwegs sind, haben störungsempfindliche Wildtiere laut Frieder Blocher kaum noch die Möglichkeit, zur Ruhe zu kommen. „Ihr Biorhythmus verändert sich“, berichtet der Waidmann und erklärt: „Deshalb ist es zwischenzeitlich keine Seltenheit mehr, mitten am Tag auf ein Reh zu stoßen.“

Gleichzeitig werden die Tiere immer tiefer in den Forst gedrängt oder von Futterstellen verscheucht. Massiver Verbiss an Knospen oder jungen Trieben von jungen Bäumen, die in ihrem Wachstum gehemmt werden, sind die Folge. „Schnell rufen Waldbesitzer dann nach Abschussquoten, doch das ist“, aus Sicht von Frieder Blocher, „widersinnig. Denn die Zahl der Rehe hat nicht zugenommen, sondern lediglich ihr störungsbedingter Futterbedarf. Drückjagden bieten also keine Lösung.“

Stattdessen sollte sich jeder, der sich im Wald aufhält, mit Blick auf Wildtiere Rücksicht walten lassen. „Das gilt gerade für Mountainbiker. Anders als Wanderer legen sie bei gleicher Aufenthaltsdauer größere Wegstrecken zurück“, erklärt Blocher. „Der Überraschungseffekt ist aufgrund der schnellen Annäherung größer und damit auch die Störwirkung.“ Daher sollte das Zweirad nur auf ausgewiesenen Routen bewegt werden. Denn die Tiere können mit einem gewissen Maß von störenden Ereignissen umgehen, solange sie dem Waidmann zufolge berechenbar ist und Rückzugsgebiete nicht angetastet werden.