Kirchheim
„Möge die Macht mit dir sein“

Lesung 22 Mal treten Andreas Malessa und Uli Schwenger bis Weihnachten mit „Lacht hoch die Tür“ auf, von Hannover bis in die Schweiz. In Kirchheim trafen sie dabei auf ein außergewöhnliches Publikum. Von Peter Dietrich

Wieder gab es ein Musikstück zu erraten, doch von den knapp 250 Zuhörerinnen und Zuhörern im Steingauzentrum der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde wussten auch diesmal gleich mehrere die richtige Antwort: Uli Schwenger hatte am Klavier „Schafe können sicher weiden“ von Johann Sebastian Bach gespielt. „Das hat man nicht immer“, kommentierte anerkennend Andreas Malessa, der den anderen Teil der musikalisch-literarischen Lesung bestritt. Wieder hatten gut informierte Zuhörer ein kleines Buch gewonnen und Malessa erwies sich als guter Weitwerfer.

Früher sei nicht alles besser gewesen, sagte er, aber heute komme alles früher. So handelte der erste Text von Lebkuchen auf dem Balkon, mitten im Sommer bei 31 Grad. Von einem Freund zur Rede gestellt, entgegnet der zu frühe Genießer, es handle sich um „Südtiroler Herbstmedaillons“. Aber warum steht dann „Nürnberger Lebkuchen“ auf der Packung? Vom schlechten Gewissen geplagt, greift der mit Lichtschutzfaktor 40 geschützte Kerl zur Bibel, auf der Suche nach dem Gebot: „Du sollst nicht Lebkuchen essen, bevor es Weihnachten ist.“ Und findet es nicht.

Anstrengende Weihnachtsvorbereitungen

Es gibt verschiedene Arten des Lachens. Eine davon war an diesem Abend besonders oft zu hören, es war der „ja, das kenne ich, genauso ist es“-Typ. Denn Malessa ist ein hervorragender Beobachter. Wie kann es sein, dass Frauen auch denen das Passende schenken können, die sie kaum kennen, und Männer auch bei denjenigen scheitern, die sie herzlich lieben? „Wenn ich etwas verpacke, sieht es so aus, als ob ein Hund damit gespielt hat.“ Vorzüglich seine Beschreibung der anstrengenden Weihnachtsvorbereitungen: Wer wird eingeladen und bleibt wie lange? Wer bekommt was zu essen? „Der Onkel braucht einen Braten, die Frau will vegetarisch und die Kinder wollen vegan.“ Nebenher erfuhren die Zuhörer auch noch, dass der Begriff „vegan“ aus der Neandertalersprache komme und übersetzt „zu blöd zum Jagen“ bedeute. Echt jetzt.

Die sehr humorvolle Erzählung vom Nikolaus, der wegen einer misstrauischen Nachbarin mit Polizeischutz bei den Kindern eintrifft, gehörte zu den Texten aus fremder Feder, aber Malessa präsentiert sie sehr authentisch. Herzerweichend die Geschichte des Jungen, der es nicht erwarten kann, vorab die Spritzgebäckkringel vom Weihnachtsbaum wegisst und sie dann durch seine Star-Wars-Figuren ersetzt. Dem seine Eltern danach dennoch versichern, dass sie ihn lieb haben: „Möge die Macht mir dir sein.“

Ebenso bewegend ist die Geschichte vom Jungen, der als Herbergsvater Maria und Josef abweisen soll – und es nicht übers Herz bringt. Er bekommt eine Ersatzrolle als Engel, weil die viel besser zu ihm passt. Bei allem Humor ließ Malessa auch ernsthaft durchscheinen, worum es an Weihnachten geht, dass der Schöpfer der Galaxien sich als kleines Kind von den Menschen abhängig macht.

Abschluss mit Bonhoeffer

Uli Schwenger bewies eine grandiose Vielfalt – von Martin Luther bis hin zum Gospel, das der legendäre Pianist Oscar Peterson für die Familie von Martin Luther King schrieb. Er spielt gleichermaßen auf allem, was ihm unter die Finger kommt: In Kirchheim war es ein älteres Klavier, anderswo auch mal ein E-Piano oder ein großer Flügel. Nebenbei schaltete er auch die Bildpräsentation auf der Leinwand weiter. Sie bot unter anderem eine Melange aus alten, ikonischen Darstellungen vor modernem Hintergrund – Maria mit dem Kind an der Bushaltestelle, die Heiligen Drei Könige reiten in eine moderne Stadt. Ein Mann liegt in völlig versiffter Umgebung auf einer Bank, ein kleiner Junge mit Teddybär legt ihm zwei rote Äpfel darauf.

Die Lesung endete nicht mit Weihnachten. Für die Tage danach empfahl Malessa, zu Stift und Papier zu greifen und im Jahresrückblick anderen Menschen für gute Begegnungen zu danken. So wie Dietrich Bonhoeffer seiner Maria zu Silvester geschrieben und am Ende seinen Text „Von guten Mächten“ angefügt hatte. Diesen Text gemeinsam zu singen, von der Originalhandschrift Dietrich Bonhoeffers, war ein eindrücklicher Abschluss.