Kirchheim

Mühsam, aber es geht

Gastronomie Eineinhalb Wochen nach dem Restaurant-Neustart fällt die Bilanz von Gastwirten durchwachsen aus. Die Abläufe funktionieren, auch wenn nicht jeder Gast sie ernst nimmt. Von Bernd Köble

Für viele Speiselokale - wie hier am Ziegelwasen - noch immer ein wichtiges Standbein: Abholservice.Foto: Carsten Riedl
Für viele Speiselokale - wie hier am Ziegelwasen - noch immer ein wichtiges Standbein: Abholservice. Foto: Carsten Riedl
Edvard Vogrin, Inhaber des Restaurants Ziegelwasen. Foto: Carsten Riedl
Edvard Vogrin, Inhaber des Restaurants Ziegelwasen. Foto: Carsten Riedl

Wie viel Toleranz darf sein, wo endet der eigene Verantwortungsbereich? Edvard Vogrin versucht freundlich zu bleiben, verpackt seine ernstgemeinte Mahnung als scherzhaften Seitenhieb. Es kommt an. Das betagte Ehepaar, das beim Anblick von Freunden sich und Corona für einen Moment vergisst, kriegt gerade noch die Kurve. Sonst teilen sie sich hier den Jahrgangs-Stammtisch. Jetzt hat man sich wochenlang nicht gesehen. Distanz halten fällt schwer, wenn vieles plötzlich wieder normal erscheint. Doch von Normalität sind Gastronomen noch immer meilenweit entfernt.

„90 Prozent meiner Gäste sind Stammgäste“, sagt Vogrin. „Die alle auf Distanz zu halten, ist nicht immer einfach.“ Der Inhaber des Res­taurants Ziegelwasen ist dennoch froh, dass es überhaupt wieder läuft, auch wenn er sagt: „Ich bin überrascht, dass es nicht mehr ist.“ Ein Drittel des üblichen Umsatzes habe die erste Woche gebracht. Dafür muss viel investiert werden, vor allem in Personal. Seine Augen und die seiner sechs Mitarbeiter sind überall. Bei Gästen, die sich erst nach minutenlangem Zureden registrieren lassen, bei anderen, die sich ohne Maske auf den Weg zur Toilette machen. Oder am Tisch nebenan, wo Lagerkoller auf Wiedersehensfreude trifft. „Wir geben unser Bestes, aber wir sind ja keine Kindermädchen“, meint der Gastwirt und wirft gleich hinterher: „Die allermeisten halten sich an die Regeln.“ Engster Verbündeter ist in diesen Tagen das Wetter. Wärmt draußen die Sonne, wird vieles einfacher. Das Feiertagsgeschäft lief deshalb gut. Am feuchtkalten Samstagabend dagegen standen sich Bedienungen vielerorts die Beine in den Bauch. „Wenn unser Abholservice nicht so gut liefe“, sagt Vogrin, „könnten wir das hier gar nicht machen.“ Dass Thüringen jetzt alle Schranken öffnen will, findet er gut. „Irgendwann muss schließlich jemand den Mut finden, diesen Schritt zu wagen. Sonst erfährt man nie, wie sich das Ganze entwickelt.“

Mühsam, aber es geht. Nichts, was das Überleben auf Dauer sichern könnte, aber besser als gar nichts - das ist die Meinung vieler Gastronomen nach den ersten Tagen eingeschränkten Betriebs. „Ich habe jetzt zehn Wochen entschleunigt“, meint Udo Kälberer, Chef im Teckkeller. „Der Kick hat einem schon gefehlt.“ Der „Kick“, das heißt auch bei ihm: mehr Personal bei deutlich weniger Umsatz. Das schöne Wetter am Feiertag hat mehr als 200 Gäste über den Tag verteilt in einen der schönsten Biergärten Kirchheims gelockt. Unter der Woche, sagt er, gehen nicht mehr als 20 Essen am Tag über den Ausgabetresen. Im Freien bietet er Speisen und Getränke an separaten Stellen zur Selbstbedienung an. Nach drinnen lässt er Gäste nur auf besonderen Wunsch oder wenn es gar nicht anders geht. „Drinnen sind die Laufwege einfach nur schwer einzuhalten.“

Regeln einhalten - in den meis­ten Fällen klappt es. So wie am Feiertag, als plötzlich zwei größere Gruppen Radfahrer den Biergarten ansteuerten. Die wurden paarweise in Vierergruppen auf benachbarte Tische verteilt. Platz gibt es im Biergarten über der Jesinger Straße genug. Problemlos läuft trotzdem nicht alles: „Manchmal muss man schon dazwischengehen“, sagt der Chef. Dank seiner imposanten Statur fällt ihm das leicht. „Schließlich bin ich es, der hinterher die Strafe zahlt.“ Damit auch der Letzte versteht, worum es geht, hat er eine Schwimmnudel aus Schaumstoff für jeden sichtbar an die Tür gehängt. Quietschbunt und exakt eineinhalb Meter lang. Anschauungsunterricht Marke Kälberer.