Kirchheim

Mystische Drehorte direkt vor der Haustür entdeckt

Fernsehen Der Naberner Regisseur Jo Müller hat eine Dokufiktion über die geheimnisvollen Rauhnächte für den SWR gedreht. Die Pappel-Allee bei Beuren hat einen bleibenden Eindruck bei der Crew hinterlassen. Von Iris Häfner

Mystische Drehorte nahe der Teck. Foto: Ingrid Klein
Mystische Drehorte nahe der Teck. Foto: Ingrid Klein
Harald Krassnitzer spricht über die Faszination der Rauhnächte, über die Jo Müller (rechts) eine Dokufiktion gedreht hat. Foto:
Harald Krassnitzer spricht über die Faszination der Rauhnächte, über die Jo Müller (rechts) eine Dokufiktion gedreht hat. Foto: SWR

Jo Müller ist nicht zu bremsen. Die Begeisterung über seine dreiteilige Dokufiktion „Rauh­nächte - Wilde Jagd und stille Zeit“ im SWR ist durchs Telefon spürbar. Erst vor zwei Jahren hat der Regisseur, der in Nabern lebt, von dieser besonderen Zeit „zwischen den Jahren“ erfahren - und war sofort elektrisiert. „Ich bin ein sehr intuitiver Mensch“, sagt er über sich. Deshalb dauerte es auch nicht lange, bis das Konzept für die Sendung stand und umgesetzt wurde. Prominente Mitstreiter hat er dafür gewinnen ­können: unter anderem die beiden Schauspieler Harald ­Krassnitzer und ­Natalia ­Avelon. Letztere feierte mit ihrer Rolle der 68er-Ikone Uschi Obermaier ihren Durchbruch, bei Jo Müller verkörpert sie Frau ­Perchta, die machtvolle Frau.

Harald Krassnitzer kennen viele Fernsehzuschauer als Wiener Chefinspektor Moritz ­Eisner aus dem Tatort. Er ist aber auch der Herausgeber des Buches ­„Rauhnächte - Wunderbares für eine besondere Zeit“. Der Klappentext verrät, dass sich zahlreiche Sagen um die zwölf Rauhnächte ranken: Menschen sprechen mit Tieren, Kobolde bevölkern die Stuben, Wünsche gehen in Erfüllung und die Wilde Jagd reitet über das Land. „Harald Krassnitzer ist ein toller Geschichtenerzähler, die ganze Crew war richtig begeistert und hat gebannt gelauscht. Den Zuschauern wird es nicht anders gehen“, ist sich Jo Müller sicher. „Zwölf Stunden Fahrt hat er auf sich genommen, um mir ein Interview zu geben. Er wollte kein Honorar, so wichtig war ihm die Sache“, verrät der Regisseur. Er musste die richtige Mischung finden zwischen Brauchtum, Mythen und Kern der Geschichten, die sich um das Wilde Heer ranken, ohne in die esoterische Schiene zu rutschen. Harald ­Krassnitzer verriet Jo Müller, dass er und seine Familie die Rauhnacht-Zeit bewusst leben. Bei Wanderungen und Spaziergängen würden sich mit Fremden oder auch Nachbarn in dieser Zeit oft erstaunlich tiefgreifende Gespräche ergeben.

Wer die Reihe anschaut, wird einige Aha-Erlebnisse haben, denn bekannte Landschaften werden auftauchen. „Ich habe schon auf der ganzen Welt gedreht - und die geilsten Geschichten direkt vor der Haustür in Beuren und in den Albhängen beim Neuffen. Ich bin total begeistert von den Geschichten, die auch hier noch lebendig sind“, schwärmt Jo Müller. Ein Kellergewölbe im Freilicht­museum war ein Drehort, ein weiterer die markante Allee zwischen Owen und Beuren. „Kein Witz, es war wirklich so. Wir hatten immer schönes Wetter - bis auf den Tag, an dem wir Szenen mit Frau ­Perchta in der Allee gedreht haben. Nebel- und Windmaschine waren unnötig. Es hat so gestürmt, dass es das Regiezelt zerfetzt hat“, erzählt Jo Müller. Die wehenden Gewänder von Natalia Avelon sind vollkommen authentisch. „Dramatischer hätte ich es nicht machen können“, sagt er.

Die ­Rauhnächte-Geschichten haben ihn in den Bann ­gezogen. „Wir haben unfassbar tolle Geschichten hier in der ­Region. Hollywood mit seinen Horror­geschichten kann da einpacken“, sagt er selbstbewusst. Sagen, Mythen, Märchen, Jo Müller ist diesbezüglich„sehr affin“. Für die Dokumentationsreihe „Sagenhafter Südwesten“ im SWR hat er einige Folgen gedreht. Filme zu den Rauhnächten gebe es kaum, das hat für ihn die Recherche spannend gemacht. Die Menschen hätten früher im Winter den kalten Stürmen gelauscht, manches hineininterpretiert und Respekt vor der Natur gehabt. „Die hatten kein Handy und sich deshalb Geschichten erzählt“, so der Regisseur. Manche Bräuche haben sich bis heute erhalten, manche werden wieder neu entdeckt, wie das Räuchern. Noch heute halten sich manche Frauen an die Regel, in dieser Zeit keine Wäsche zu waschen. „Frau Perchta ist eine tolle Frau. Sie hat die Frauen geschützt, die das ganze Jahr über jeden Tag von morgens bis abends geschuftet haben. Wenigstens in dieser Zeit sollten sie sich etwas ausruhen können. Es ist auch eine Emanzipationsgeschichte“, erzählt Jo Müller. Das Konzept für seine Sendungen hat er vor rund einem Jahr beim Sender eingereicht. „An Corona hat damals noch keiner gedacht - und jetzt lernen wir, was stille Zeit ist. Das ist schon krass.“

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Rauh­nächte - Wilde Jagd und stille Zeit

Die „Rauhnächte“ - zwölf Nächte zwischen Weihnachten und dem Dreikönigstag - gelten seit Menschengedenken als Schwellenzeit zwischen Dunkel und Licht, Vergänglichem und Ewigkeit, Altem und Neuem. Gerade im süddeutschen Raum hat sich ein starker Volksglaube gehalten. Der Naberner ­Filmemacher, ­Autor und SWR-Redakteur Jo Müller setzt in der dreiteiligen Reihe Sagengeschichten aus der Zeit „zwischen den Jahren“ in Szene. Das SWR-Fernsehen zeigt sie am 28., 29. und 30. Dezember jeweils ab 18.15 Uhr und als 90-Minuten-Fassung am Sonntag, 3. Januar, von 12 bis 13.30 Uhr. Der Dreiteiler steht ein Jahr lang in der ARD-Mediathek.

Von Hexen, Schurken und der Wilden Jagd: Der Legende nach geschehen in den Rauhnächten zwischen dem 25. Dezember und dem Dreikönigstag am 6. Januar viele unerklärliche und geheimnisvolle Dinge. Frau Perchta - auch bekannt als Frau Holle - geht um und segnet die, die ihr Geschenke bringen. Doch wehe, man versucht sie zu beobachten. Auch die Wilde Jagd treibt in diesen Nächten ihr Unwesen. Deshalb darf man keine Wäsche aufhängen, sonst verfangen sich die Geister darin. Wer sich Haare und Fingernägel schneidet, wird mit Kopfschmerzen bestraft, wer pfeifend aufsteht, muss Unglück fürchten. In den Rauhnächten treiben Hexen ihr Unwesen, Tiere können sprechen und ledige Mädchen ihren Bräutigam im Traum sehen. Alles ist aus der Ordnung geraten, die Arbeit soll ruhen.

Ruhe „zwischen den Jahren“ - gerade in diesem Jahr, in dem sich viele Menschen wegen der Corona-Krise ins Private zurückziehen, scheinen die Rauhnächte eine Renaissance zu erleben. Neben Räucherkursen boomt auch die Literatur über diese mystische Zeit. Wie ein roter Faden ziehen sich die Gespräche mit dem Schauspieler Harald Krassnitzer durch die drei Teile des Films. Krassnitzer beschreibt die Faszination der Rauhnächte in seinem Buch „Wunderbares für eine besondere Zeit“. Auch bei dem Autor und Brauchtumsforscher Wolfgang Wiedenhöfer in Waiblingen und der Fantasy-Autorin Birgit Jaeckel in Krün begibt sich der Film auf Spurensuche. ih