Kirchheim
Nachbarn schlagen immer öfter Alarm

Tierwohl Seit Beginn der Pandemie werden mehr Verstöße gegen das Tierschutzgesetz gemeldet. Viele Probleme lassen sich mit Gesprächen lösen. Von Lena Bautze

Seit gut einem Jahr arbeiten mehr Menschen von zu Hause. Auf einmal nimmt man die eigenen vier Wände und die Umgebung ganz anders wahr, auch die Nachbarn und auch deren Tiere. Vielleicht merkt man jetzt erstmalig, wie oft der Hund von nebenan am Tag bellt. Besorgte greifen dann zum Hörer und wählen die Nummer vom Veterinäramt.

Das bemerkt auch Dr. Chris­tian Marquardt, Leiter des Veterinäramts: „Bei uns werden immer mehr Tierschutzverstöße gemeldet“, sagt er. Ihn wundert das nicht: „Die Menschen verbringen jetzt viel Zeit daheim.“ Die Polizei dagegen merkt keinen Zusammenhang zwischen Anzeigen und Corona-Krise. „Anzeichen für eine Auswirkung der Corona-Krise auf die Fallzahlen gibt es im Straf­tatenbereich nicht“, sagt Andrea Kopp, Pressesprecherin der Polizei Reutlingen. Die Polizei erfasst dabei jedoch lediglich Daten über die Straftaten - also Anzeigen, die an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet werden. Doch im Tierschutzgesetzt gebe es, so Andrea Kopp, „unzählige Ausprägungen von Verstößen“. So könne zum Beispiel das Zufügen von Schmerzen vorsätzlich oder fahrlässig begangen werden, also eine Straftat oder eine Ordnungswidrigkeit sein, erklärt Andrea Kopp. Ordnungswidrigkeiten würden oft von den Behörden wie den Veterinärämter der Städte und der Landratsämter eigenständig bearbeitet und landeten gar nicht bei der Polizei.

Die Anzeigen, die beim Veterinäramt landen, kommen häufig aus der Nachbarschaft. Aber auch aus dem Freundes- oder Verwandtenkreis werden Verstöße gemeldet. Laut Horst Theilinger, Tierheimleiter in Esslingen, würden sich viele Beanstandungen von selbst erledigen, „wenn die Menschen miteinander reden würden.“ Der Veterinär Christian Marquardt ergänzt: „Die meisten haben schon eine Vermutung, von wem die Anzeige kommt, und circa 90 Prozent liegen dabei richtig.“ Doch die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sagen nicht, ob die Vorahnung stimmt, wenn die Hinweisgeber anonym bleiben wollen - und das wollen laut Christian Marquardt und Horst Theilinger fast alle.

Insgesamt 254 Anzeigen gab es 2020, 2019 waren es nur 193. Dieses Jahr sind bis jetzt bereits über 80 mutmaßliche Verstöße beim Veterinäramt gemeldet worden. „In der Regel melden sich die Leute, weil sie denken, hier wird ein Tier nicht gut behandelt“, betont Marquardt. Doch viele Fälle sind dann harmloser als gedacht. „Wenn ein Hund beispielsweise krank ist, kann das ein Grund sein, warum er nicht so oft draußen ist“, erläutert Theilinger. „Wenn wir uns bei den Betroffenen melden und sie um eine Erklärung bitten, regelt sich das danach meistens“, sagt Marquardt. Dabei geht das Team des Veterinäramts am Anfang immer unangekündigt zu den Tierhaltern. „Wenn wir niemand vorfinden, hinterlassen wir eine Nachricht und dann melden sich die Menschen auch fast alle umgehend bei uns“, sagt Christian Marquardt. Bei einem ankündig­ten Besuch hätte der Tierhalter die Möglichkeit, die Spuren zu beseitigen, doch Marquardt sagt klar: „Wenn es eine Katastrophe ist, sieht man das auch. Schnell putzen geht nicht.“ Auch wenn das Tier in einem schlechten gesundheitlichen Zustand ist, könne man das nicht innerhalb von ein paar Tagen wieder aufpäppeln.

„Nur wenn Gefahr im Verzug ist, können wir auch eine Wohnungstür öffnen. Dafür brauchen wir aber immer eine Rechtsgrundlage“, erklärt Marquardt. Dann werden die Tiere auch beschlagnahmt und versorgt. Doch zu solchen Fällen kommt es laut Marquardt nur sehr selten.