Kirchheim

Nicht alle halten treu die Eisenstange

Wirtschaft Fitness- und Gesundheitsstudios dürfen seit dem 2. Juni wieder unter Auflagen öffnen. Die Betreiber haben die Krise unterschiedlich gespürt, einer spricht von einer „Katastrophe“. Von Thomas Zapp

Sascha May (links) beobachtet seine Kunden kurz nach der Wiedereröffnung des „Fortschritt“ in Schlierbach.Foto: Markus Brändli
Sascha May (links) beobachtet seine Kunden kurz nach der Wiedereröffnung des „Fortschritt“ in Schlierbach. Foto: Markus Brändli

Es riecht mehr nach Desinfektionsmittel als nach Schweiß, was auch an den mit Desinfektionsmittel befüllten Luftbefeuchtern liegt. Was noch auffällt: Im Außenbereich mit den Sitzecken halten sich deutlich mehr Leute für ein Schwätzchen mit einem Fitnessgetränk in der Hand auf als an den Geräten. Im Kirchheimer Joe‘s Fitness Center haben die Kunden offensichtlich auch sozialen Nachholbedarf. Die gute Nachricht auch für die Betreiber lautet aber: Endlich bewegt sich wieder etwas an den Gewichten und auf den Laufbändern. Nach wochenlangem Homeoffice und einigen Corona-Kilos zu viel auf den Rippen haben Fitness-Studios und Gesundheitszentren auch in Kirchheim und Umgebung wieder geöffnet.

In die Erleichterung mischt sich bei den Fitness-Unternehmern aber auch Wut. „Das ist die größte Katastrophe, die ich miterlebt habe“, sagt Johannes Öhrle von Joe‘s Fitness Center. Da er vor der Corona-Krise für seine Kunden auf eine monatliche Kündigungsfrist umgestellt hatte, bekam er deren Verunsicherung im Mai besonders zu spüren. „Im März und April haben noch alle bezahlt, dann kamen die Anrufe mit der Frage: Wann kannst du wieder aufmachen?“, erzählt er. Eine Antwort hatte er nicht parat, denn Informationen von Bund und Land gab es lange nicht. Die Folge: Er hat im Laufe der Corona-Krise insgesamt 100 Mitglieder verloren und kommt jetzt auf 250. Und er weiß nicht, ob alle zurückkommen werden. Die Filiale einer Kette verspricht dagegen Erstattung der drei „Corona-Monate“ nach dem Austritt.

Ralph Scholz, 1. Vorsitzender des Deutschen Industrieverbands für Fitness und Gesundheit (DIFG) spricht von Umsatzeinbrüchen bis Jahresende bis zu 25 Prozent. Das hätte eine Umfrage seines Verbandes ergeben. Das Grundproblem sie die dünne Eigenkapitaldecke vieler Studios, die im Durchschnitt bei 13 Prozent liege. Er schätzt, dass die Studios im Schnitt fünf Jahre brauchen, um die Verluste wieder aufzuholen.

Vorerst stehen noch weitere Investitionen an: 200 Tücher und Desinfektionsfläschchen hat Johannes Öhrle für seine Kunden gekauft. Damit kann jeder die Geräte vor und nach dem Gebrauch desinfizieren. Die Umkleidekabinen dürfen bei einigen gar nicht, bei anderen nur zur Aufbewahrung von Wertsachen benutzt werden oder zum Schuhe wechseln. Die Behörden haben vorerst die Benutzung der Duschen untersagt. Die Studiogäste werden deshalb gebeten, bereits im Sport-Outfit zu kommen. Einweghandschuhe oder Atemmasken müssen die Trainierenden aber nicht benutzen.

Videos statt Studio

Wenn es begleitete Trainingseinheiten wie im Schlierbacher Gesundheitsstudio „Fortschritt“ gibt, tragen aber die Trainer Masken. Inhaber Sascha May freut sich, dass „99,5 Prozent“ seiner Kunden geblieben sind. Sie hatte er während der „Schließzeit“ individuell mit Videos und Trainingsprogrammen versorgt. Allerdings kann er seine Verluste noch nicht beziffern. „Wir sind verpflichtet, wie die Reisebranche Gutscheine für entfallene Stunden auszustellen. Die können bis Ende 2021 eingelöst werden“, sagt er. Sein voll digitalisiertes Studio gibt Sascha May auch Auskunft, wie viele Geräte benutzt werden. Bislang seien die Kunden aber ohnehin noch zurückhaltend.

Da die Kunden 1,50 Meter Abstand einhalten müssen, kann es Einlassbeschränkungen geben. Bei der Kette „Jumpers“ mit Sitz im bayerischen Rosenheim gibt es für jede Filiale einen Statusmelder. Als Grundlage dient die Annahme, dass pro sieben Quadratmeter Studiofläche eine Person trainieren darf. Dort versucht man auch, die Vormittagszeiten frei zu halten, weil dann vermehrt Angehörige von Risikogruppen trainieren.

So oder so wird die erfolgsverwöhnte Branche, die sich noch zu Jahresbeginn über Mitgliederzuwächse auf 11,6 Millionen und Umsätze von 5,51 Milliarden Euro im Jahr 2019 freute, empfindliche Verluste verkraften müssen. Ralph Scholz vom DIFG geht davon aus, dass „mehrere Hundert Betriebe, vor allem die inhabergeführten“, bedroht sind.