Kirchheim

Nürtingen muss die Ersten ausfliegen

Kliniken Auf dem Säer spitzt sich die Lage dramatisch zu. Am Donnerstag mussten vier Intensiv-Patienten nach Tübingen und Esslingen verlegt werden. Auch 35-Jährige hängen am Beatmungsgerät. Von Bernd Köble

Die ersten Patienten mussten per Hubschrauber in anderer Kliniken ausgeflogen werden. Foto: sdmg/ Boehmler
Die ersten Patienten mussten per Hubschrauber in anderer Kliniken ausgeflogen werden. Foto: sdmg/ Boehmler

Auf dem Nürtinger Säer werden die Intensivbetten knapp. Als erste der drei Medius-Kliniken im Kreis musste das Krankenhaus in Nürtingen am Donnerstag die ersten Patienten ausfliegen. Zwei schwer am Coronavirus Erkrankte wurden in die Uni-Klinik nach Tübingen geflogen, zwei weitere ins Klinikum nach Esslingen verlegt. Bei medizinischen Fachkräften, die rund um die Uhr, sieben Tage die Woche an der Belastungsgrenze arbeiten, wächst der Unmut über Hilfsmaterial, das zur Neige geht, und die Diskussion von Politikern über mögliche Lockerungen der Verbote ab Ostern.

„Die Lage ist dramatisch, und wir wissen nicht, was noch kommt“, sagt Professor Dr. Tanja Kühbacher, die zuständige Chefärztin in der Nürtinger Klinik. „Wir sind hier das Epizentrum im Landkreis.“ Auf dem Säer wurde inzwischen eine dritte Isolierstation eingerichtet, um auch Intensivpatienten, die nicht am Coronavirus erkrankt sind, weiter behandeln zu können. Trotzdem waren die zehn Coronaplätze, die im Moment zur Verfügung stehen, alle belegt. Es musste Platz geschaffen werden. In Nürtingen werden zur Stunde weiterhin sieben Patienten mit schwerem Krankheitsverlauf beatmet, insgesamt sind hier 42 Corona-Erkrankte stationär untergebracht. Darunter sind nicht nur sogenannte Risiko-Patienten. „Wir haben hier 35-Jährige ohne jede Vorerkrankung intubiert,“ versucht die Chefärztin mit der Mär aufzuräumen, nur Alte und Kranke seien durch das Virus gefährdet.

„In Nürtingen wird bereits seit Wochen alles getan, um auf Schlimmeres vorbereitet zu sein“, sagt die Chefärztin. Es wurde eine getrennte Notaufnahme für Infizierte eingerichtet, Kapazitäten erweitert, zusätzliche Mitarbeiter in Beatmungstechnik geschult, Schichtpläne angepasst. „Wir tun alles, was in unserer Macht steht, und jeder zieht mit“, sagt die Chefin. „Ich habe noch nie eine solche Solidarität erlebt.“

Trotzdem wächst unter fast allen Mitarbeitern das Gefühl, von der Politik im Stich gelassen zu werden. Vom versprochenen Nachschub an Schutzausrüstung und Hilfsmitteln ist im ganzen Kreis bisher nichts angekommen. Die drei Medius-Kliniken in Kirchheim, Nürtingen und Ruit, die allein 40 000 Schutzmasken pro Monat benötigen, warten auf Lieferungen im Wert von 2,2 Millionen Euro. Weder ist die Ware da noch sei die Finanzierung geklärt, sagt Landrat Heinz Eininger. In Nürtingen stellt die hauseigene Krankenhaus-Apotheke Desinfektionsmittel so gut es geht selbst her. Schutzmasken müssen mehrfach wiederverwendet werden. „Das ist ein unglaubliches Risiko für unsere Mitarbeiter, die wir eigentlich schützen müssten“, sagt Tanja Kühbacher. Drei davon sind bereits erkrankt und stehen unter häuslicher Quarantäne. Eine Situation wie im Elsass, wo auch infizierte Ärzte und Pflegekräfte notgedrungen weiter arbeiten, will sie sich erst gar nicht vorstellen. Dass Politiker bereits über Exitstrategien und ein mögliches Ende der Krise redeten, macht sie wütend. Für sie ist längst klar: Wer weiterhin relativiert und beschwichtigt, handelt unverantwortlich. „Wir blicken im Moment in den Abgrund“, sagt die Medizinerin. „Wacht endlich auf in Deutschland!“