Kirchheim

Online-Plattform ist das Ziel

Digitalisierung Der Nürtinger Professor Dirk Funck präsentiert dem „City Ring“ ein Konzept fürs Stadtmarketing 4.0. Welche Mittel gibt es gegen Internetgiganten wie Amazon? Von Günter Kahlert

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Es wirkt auf den ersten Blick wie die Geschichte von David und Goliath: der örtliche Einzelhandel gegen Amazon, den milliardenschweren, marktbeherrschenden Welt-Konzern. Ein bundesweites Problem, das auch den Kirchheimer „City Ring“ schon seit vielen Jahren umtreibt. Vor vier Jahren hat man die Kooperation mit Professor Dirk Funck gesucht, der in der Nürtinger Hochschule für Wirtschaft und Umwelt (HfWU) in seinem Fachgebiet „Betriebswirtschaft und Internationale Finanzen“ einen Schwerpunkt auf diese Problematik gelegt hat. Mit im Boot: die Stadt und der Bund der Selbständigen (BDS). Drei Jahre, viele Gespräche und sechs studentische Semesterarbeiten später präsentiert Dirk Funck bei der Hauptversammlung des „City Ring“ das Ergebnis seiner Untersuchungen als Zukunftskonzept.

Wo liegen die Stärken des Einzelhandels in Konkurrenz mit den Internetriesen? „Wir brauchen eine ‚Online-Plattform Kirchheim‘, auf der sehr viele lokale Netzwerke gebündelt werden, auf der die Menschen aus der Stadt und der Region ihr Lebensumfeld auch digital wiederfinden“, fordert Dirk Funck. Und da stünden keineswegs Shops im Mittelpunkt des Interesses, da seien alle Arten von Informationen gefragt. „60 bis 80 Prozent aller Google-Anfragen sind lokal“, sagt er und schiebt eine Frage hinterher: „Können wir vieles im lokalen Bereich nicht besser?“ Es gehe um eine Informations-, Kommunikations- und Transaktionsplattform. Es müsse ein „Alltagsbegleiter“ sein, der so komfortabel ist, dass man „immer wieder drauf klickt“. Ziel des Ganzen ist es, Menschen zum „Drive to City“ zu animieren, sie sollen Lust bekommen, die Stadt aufzusuchen. „Da ist der Handel nur ein Teil“, stellt Dirk Funck klar. Es gehe um die Attraktivität der gesamten Stadt.

Dass ein derartiges Gesamtkonzept nicht von heute auf morgen umzusetzen ist, muss man nicht betonen. „Rechnen Sie mit drei, vier, fünf Jahren“, dämpft er vorschnelle Erwartungen seiner Zuhörer: „Das geht nicht schneller, weil kommunale Strukturen nicht schneller arbeiten und weil wir die Ressourcen so nicht haben.“ Jetzt müssten erst mal weitere Schritte gegangen werden. Das fange im politischen Bereich an. Konkret fordert er: „Der Gemeinderat muss dahinter stehen, da müssen auch mal Budgets umgeschichtet werden.“ Diese „Online-Plattform Kirchheim“ koste letztlich Beträge, die keiner der Beteiligten allein stemmen könne. Selbst einen „Chief Digital Officer“ in der Stadtverwaltung bringt der Wissenschaftler ins Spiel, aber einen solchen hauptamtlichen, digitalen „Kümmerer“ sieht er in den Kommunen in den nächsten fünf Jahren eher nicht.

Digitalisierung der ganzen Stadt

Als Beteiligte sieht Dirk Funck nicht nur die bisherigen Akteure „City Ring“, BDS und Stadtverwaltung. Dazu gehören seiner Ansicht nach auch die Kreissparkasse und die Volksbanken, die Vereine, die Medien, die Energieversorger, die Bildungsinstitutionen, Initiativen, Start-ups und mehr. „Das ist jetzt etwas, das muss Kirchheim selbst machen, die kennen sich alle. Ich glaube, dass man die Energie frei­ setzen und das Thema emotionalisieren kann“, ist er zuversichtlich. Es ist nicht weniger als die Digitalisierung einer kompletten Stadt.

Der „City Ring“-Vorsitzende Karl-Michael Bantlin will es auf jeden Fall anpacken. „Das ist die Arbeit der nächsten zwei, drei Jahre. Zusammen mit dem BDS haben wir ja schon 400 Mitglieder, die wir ansprechen können“, schildert er die nächsten Schritte. Dann müsse man an die Vereine und alle anderen ran, die Stadtverwaltung sei schon dabei.

Am Schluss bringt Funck noch einen Begriff ein, der im Kontext mit dem Internet zunächst stutzen lässt: die Seele. „Klar klingt das idealistisch, es ist aber auch realistisch, weil es funktioniert“, meint er zu der Anmerkung. In Sachen Technik, Sortiment, Dynamik und Know-how habe man keine realistische Chance gegen die Großen, „aber in der regionalen Seele sind wir besser. Die Menschen leben doch alle hier“.