Kirchheim

Patienten stehen auf der Straße

Schließung Nur fünf Monate nach der Übernahme einer Kirchheimer Traditions-Praxis machen zwei junge Ärztinnen wieder dicht – ein großes Problem für Betroffene und andere Praxen. Von Bianca Lütz-Holoch

Lediglich ein Schild weist darauf hin, dass die Ärztinnen nicht mehr in Kirchheim praktizieren.Foto: Carsten Riedl
Lediglich ein Schild weist darauf hin, dass die Ärztinnen nicht mehr in Kirchheim praktizieren.Foto: Carsten Riedl

Armin H. (Name geändert) ist ratlos. Vor Kurzem erst hat der 81-Jährige, der unter einer chronischen Krankheit leidet, bei seinen Hausärztinnen Blut abnehmen lassen. Als er aber einen Termin zur Besprechung vereinbaren will, hat die Praxis geschlossen - und zwar endgültig. Eine Information hat Armin H. vorab nicht bekommen, ebensowenig wie seine Untersuchungsergebnisse, seine Patientenakte und all seine Unterlagen aus den vergangenen Jahren.

Armin H. ist kein Einzelfall. Ähnlich wie ihm ergeht es vielen Patienten der Arztpraxis in der Jesinger Straße 66 in Kirchheim. Im Juli dieses Jahres hatten zwei junge Ärztinnen die renommierte Praxis übernommen, die Dr. Dieter Beck davor 30 Jahre lang geführt hatte. Nach fünf Monaten gaben sie auf.

Über die Gründe wird spekuliert. Offizielle Stellungnahmen gibt es nicht. Die Ärztinnen standen nicht für eine Auskunft zur Verfügung. Gerüchteweise soll jedoch eine Verkettung von organisatorischen Problemen und Fehlentscheidungen sowie ein Mangel an Kommunikation dazu geführt haben, dass die beiden Frauen so kurz nach ihrem Start wieder das Handtuch geworfen haben. Auch Probleme mit den Vermietern und dem Praxispersonal soll es gegeben haben. Auch Hausbesuche habe es nicht gegeben. Medizinisch dagegen, so heißt es, sei den Ärztinnen nichts vorzuwerfen.

Die Folgen der plötzlichen Praxisschließung macht nun etlichen Patienten, aber auch Hausärzten und Krankenkassen zu schaffen und lassen die Klagen, es mangele an Ärzten, lauter werden. „3000 Patienten in Kirchheim suchen einen neuen Arzt“, schätzt Dr. Thomas Löffler, stellvertretender Vorsitzender der Ärzteschaft Nürtingen und Moderator des hausärztlichen Qualitätszirkels in Kirchheim. In seiner eigenen Gemeinschaftspraxis stapeln sich die Aufnahmeanträge - ebenso wie in den anderen Praxen in Kirchheim und Umgebung. Erschwerend kommt dazu, dass dieses Jahr bereits zwei weitere Haus- ärzte in Kirchheim in den Ruhestand gegangen sind und auch deren Patienten sich neu orientieren mussten.

„Jeder, der bei uns im Hausarztmodell ist, hat Anspruch auf einen Hausarzt“, sagt Gesa von Leesen, Pressesprecherin der AOK-Bezirksdirektion Neckar-Fils. „Für diese Patienten sind wir gerade dabei, Plätze zu finden.“ Wer allerdings nicht an dem Modell teilnehme, müsse sich selbst umschauen.

Sorgen bereitet vielen Patienten auch die Frage, wo ihre Akten gelandet sind und wie die Unterlagen zum neuen Hausarzt gelangen sollen. In dem Punkt gibt Dr. Oliver Erens, Presseprecher der Landesärztekammer, Entwarnung. „Die zuständige Bezirksärztekammer Nordwürttemberg steht in Kontakt mit den Ärztinnen. Sie haben eine zeitnahe Lösung für die Frage der Patientenakten zugesagt“, versichert er. Dr. Thomas Löffler weiß, dass die Sache mit den Akten aus rechtlichen Gründen gar nicht so einfach ist. Viele Patienten der Praxis Dr. Beck seien noch gar nicht bei dessen Nachfolgerinnen gewesen. „Die Akten gehen ja unter Verschluss an die Nachfolger über, und der Patient muss erst unterzeichnen, dass der Arzt Einsicht nehmen darf“, weiß Löffler. Einfach so herausgeben könne man sie nicht.

Armin H. hat übrigens nochmal Glück gehabt. Er hat nicht nur Ergebnisse von Facharzt-Untersuchungen aus den vergangenen Jahren kopiert und zu Hause abgeheftet, sondern auch einen neuen Hausarzt gefunden, der regelmäßig seine Blutwerte kon­trolliert. Seine Patientenakte wird er trotzdem anfordern, damit der neue Arzt wirklich lückenlos Einblick in seine Krankengeschichte erhält.

Betroffene, die ihre Akten wiederhaben möchten, können sich unter der Telefonnummer 07 11/7 69 81-0 oder per E-Mail an info@baek-nw.de an die Bezirksärztekammer Nordwürttemberg werden.