Kirchheim

Pflanzen schicken Hilferufe – direkt aufs Smartphone

Forschung Lehner Sensor-Systeme arbeitet gemeinsam mit der Staatsschule für Gartenbau an einem Projekt, das die Landwirtschaft revolutionieren kann. Von Andreas Volz

Wenn man noch nie etwas davon gehört hat, klingt es stark nach Science Fiction: Dass eine Pflanze mit Menschen spricht, erscheint nicht nur kurios, es scheint bislang sogar unmöglich zu sein. Und doch können Pflanzen über ihren Zustand Mitteilungen verschicken – sogar aufs Smartphone. Schon vor vier Jahren war Dr. Lars Lehner als einer von 60 „Übermorgenmachern“ in Baden-Württemberg ausgezeichnet worden. Er hatte Sensoren, die die Kirchheimer Firma Lehner Sensor-Systeme für Druckmaschinen produziert, umfunktioniert und an Pflanzen angelegt.

Gemessen werden elektrische Signale, mit denen die Pflanze Informationen weitergibt – von der Wurzel bis zur Spitze oder umgekehrt. An den Ausschlägen lässt sich detailliert erkennen, welche Art von Information die Pflanze gerade weiterleitet, welche Art von „Stress“ sie gerade hat. Ein Beispiel für regelmäßig wiederkehrenden Stress ist die Umstellung auf andere Jahreszeiten. Gewisse Informationen über Tageslicht oder Temperaturen „misst“ die Pflanze an unterschiedlichen Stellen und leitet die Ergebnisse weiter. Nur so kann ein Baum rechtzeitig vor dem Winter seine Blätter abwerfen.

Am „Stress“ setzt auch die Nutzanwendung der ganzen pflanzlichen Sensoren-Technik an. Besonders einleuchtend ist der „Trockenheits-Stress“. Fehlt es der Pflanze unten an Wasser, muss sie diesen Mangel intern kommunizieren, um irgendwo weiter oben entsprechende Maßnahmen einzuleiten, die den Flüssigkeitsbedarf drosseln und so den Wassermangel ausgleichen helfen. Gärtner und Landwirte können, wenn sie die Information rechtzeitig „abfangen“, gegensteuern. Geben sie der Pflanze rasch genügend Wasser, kann sie ihre Reaktionen wieder einstellen. Mit dem Auslöser ist auch der Stress beseitigt.

Falls das immer noch zu theoretisch ist, folgt hier der wirklich praktische Nutzen: Jede Pflanze lässt sich dank der künstlichen Sensoren ganz nach ihren natürlichen Bedürfnissen behandeln. Sie kriegt genau so viel Wasser, wie sie wirklich braucht, nicht zu wenig, aber auch nicht zu viel. Dasselbe gilt für Düngemittel, Mineralien, Licht und Wärme.

Die Pflanze „sagt“, was sie braucht – auch wenn sie das erst nach dem „großen Lauschangriff“ preisgibt. Der Nutzer erhält direkt über seinen Computer oder sein Smartphone, die mit den Sensoren verbunden sind, konkrete Handlungsempfehlungen, zum Beispiel „Wässern“ oder „Spritzen“.

Gespritzt werden muss nach wie vor. Aber der Einsatz der Spritzmittel lässt sich stark verringern, weil man sie nicht mehr auf Verdacht anwenden muss, sondern nur im Bedarfsfall und exakt in der benötigten Menge. Auch hierfür hat Lars Lehner ein Beispiel parat: „Ein Weingärtner kann erst auf Mehltaubefall reagieren, wenn er ihn sieht. Dann ist es oft schon zu spät. Durch unsere Sensoren lässt sich aber schon der erste Angriff registrieren.“ Das heißt, der Mehltau kann im Entstehen bekämpft werden, rechtzeitig.

Gleiches gilt für die Trockenheit im Weinberg. Bodenmessgeräte reichen nicht so weit in den Boden wie die Wurzeln des Weinstocks. Lars Lehner: „Mit unserer Methode meldet eben nicht ein Feuchtigkeitsmesser irgendwo im Boden den Wassermangel. Bei uns meldet sich die Rebe selbst.“ Wichtig ist, dass sich Ressourcen sparen lassen – durch die gezielte und punktgenaue Dosierung.

Dr. Michael Ernst, der Leiter der Hohenheimer Staatsschule für Gartenbau und Landwirtschaft, die mit Lehner Sensor-Systeme zusammenarbeitet, berichtet: „Man kann Energie einsparen – wenn man es ein bisschen kälter macht, ohne dass die Pflanze sich beschwert.“ Andererseits müsse der Nutzer gar nicht mehr in jedem Fall selbst eingreifen. Manches könne automatisiert erfolgen: „Wenn die Pflanze sagt, mich friert’s, lässt sich das direkt an die Klimasteuerung weiterleiten, und die sorgt von selbst für die nötige Temperatur.“ Das klingt schon weit weniger nach Science Fiction.