Kirchheim

„Polinnen melden sich direkt bei mir“

Uta Kümmerle ist die einzige selbstständige Pflegeberaterin im Landkreis Esslingen

Immer mehr osteuropäische Betreuungskräfte sind in Deutschland tätig, meist illegal. Doch es gibt eine Alternative. Pflegeberaterin Uta Kümmerle kennt sie.

Pflege zu Hause gibt vielen älteren Menschen Sicherheit und Geborgenheit. Die selbstständige Pflegeberaterin Uta Kümmerle arbeit
Pflege zu Hause gibt vielen älteren Menschen Sicherheit und Geborgenheit. Die selbstständige Pflegeberaterin Uta Kümmerle arbeitet mit einer gemeinnützigen Stitung zusammen, die legale Betreuungskräfte aus Polen vermittelt.Fotos: Jean-Luc Jacques/Peter Dietrich

Kreis Esslingen. Sind es 120 000 oder bis zu 300 000? Wie viele osteuropäische Betreuungskräfte – auch Haushaltshilfen genannt – in Deutschland arbeiten, darüber gibt es recht verschiedene Schätzungen. Unstrittig ist die Zunahme. Auch die examinierte Krankenschwester Uta Kümmerle wurde in der Klinik immer häufiger nach solchen Kräften gefragt. Sie wollte das nicht unterstützen. Sie sah, wie solche Betreuungskräfte überfordert waren, in Alkohol oder sogar selbst flohen.

Häusliche Betreuung ist für Uta Kümmerle seit 30 Jahren ein Thema. Inzwischen arbeitet die 58-Jährige als einzige selbstständige Pflegeberaterin im Kreis Esslingen. Die illegalen Beschäftigungen konnte sie aufgrund ihrer christlichen Überzeugung nicht unterstützen. „Die Frauen sind die Ausgebeuteten. Sie handeln aus der Not heraus“, sagt Uta Kümmerle. Sie brauchen Geld, weil das Dach ihres Hauses repariert werden muss oder weil ein Kind studiert. Für die Bekämpfung der Schwarzarbeit sei der Zoll zuständig. Aber anders als auf dem Erdbeerfeld und auf der Baustelle scheitert er an der Haustüre. Unrechtsbewusstsein fehle: „Eine Deutsche können wir nicht bezahlen, wir brauchen das doch“, sagen Angehörige. Sozialversicherungsbetrug gilt als Kavaliersdelikt. Doch Kümmerle warnt: „Er wird sehr hoch betraft.“

Wie Pilze sind Agenturen aus dem Boden geschossen. „Das sind oft Leute aus der Vertreter- oder Versicherungsbranche“, sagt Uta Kümmerle. In einem Fall habe eine Frau für eine schwere Betreuung monatlich nur 780 Euro bekommen, die Angehörigen hätten aber viel mehr bezahlt. Ein polnischer Anwalt hat die Gewinnmargen von 46 Vermittlern ausgewertet: Er kam für eine Standardbeschäftigung auf satte 300 bis 1 000 Euro pro Arbeitnehmer und Monat. Ganz anders ist die Situation bei den wenigen gemeinnützigen Vermittlern. Der Verein für internationale Jugendarbeit Stuttgart berechnet für seine Vermittlung und Betreuung bei einer Dauerkraft beispielsweise einmalig 500 und monatlich 125 Euro. Die „Stiftung Europäische Begegnung“ nimmt eine einmalige Profilpauschale von 288 sowie monatlich 55 Euro.

Zu ihr bekam Uta Kümmerle auf einer privaten Polenreise 2014 Kontakt. Die gemeinnützige Stiftung vermittelt legale Betreuungskräfte aus Polen. Nun ist Kümmerle deren süddeutsche Partnerin. Eine ausländische Beschäftigte muss den deutschen Mindestlohn erhalten, die Stiftung kalkuliert daher mit einem Nettolohn von mindestens 1 100 bis 1 200 Euro. Für die Angehörigen bedeutet das nach Musterrechnungen der Stiftung monatliche Kosten von etwa 2 000 bis 2 200 Euro. „Günstiger als 2 000 Euro kann nicht legal sein“, sagt Uta Kümmerle. Die legale Haushaltshilfe ist in Deutschland kranken-, renten- und unfallversichert. Zudem erhält sie für ihre Kinder Kindergeld – und sie zahlt in Deutschland Steuern. „Immer mehr steigen um, weil sie Rechtssicherheit wollen“, beobachtet Uta Kümmerle.

Doch was ist mit dem bürokratischen Aufwand – Betriebsnummer von der Arbeitsagentur, Anmeldung beim Finanzamt, bei der Krankenkasse und der Berufsgenossenschaft, monatliche Gehaltsabrechnungen sowie Abführen der Beiträge? „Das sollte der Steuerberater übernehmen“, rät Kümmerle. Die Angehörigen bräuchten keinen eigenen, die Stiftung kooperiere bundesweit mit einer Kanzlei, die das für einmalig 150 und monatlich 30 Euro erledige.

Für die ergänzende Pflege sorgt Uta Kümmerle ebenfalls. Denn eine Haushaltshilfe darf waschen oder beim Anziehen helfen, aber keine medizinischen Leistungen erbringen. Ist eine Hilfe krank, organisiert Kümmerle zur Überbrückung eine Kurzzeitpflege. Im Umkreis von etwa 50 Kilometern fährt sie selbst zu den Familien, sieht sich die Unterbringung an, dokumentiert sie mit Fotos und sendet sie an die Stiftung. Sonst schickt sie jemand anders hin oder lässt sich die Fotos zusenden. „Die Frauen legen Wert auf eine Telefonflatrate und einen Internetanschluss“, sagt sie. Es ist ihr Kontakt nach Hause. Viele sind Lehrerinnen oder Stadtführerinnen, haben ein Studium und Englischkenntnisse, aber eben zuhause keine Anstellung. Immer öfter werden Frauen mit Führerschein gesucht. Auf eine solche neue Betreuungskraft warte aktuell in einer wohlhabenden Familie ein Porsche Cayenne.

Wie gut oder schlecht die Arbeits- und Vermittlungsbedingungen sind, spricht sich herum, etwa im Bus bei der An- und Abreise. „Immer mehr Polinnen melden sich direkt bei mir“, sagt Kümmerle. Sie freut das. „Ich bin gegen die Ausbeutung von Frauen.“ Sie erzählt von einer Polin, die zum ersten Mal über die Stiftung nach Deutschland kam. „Dass sie sich nicht im Haus verstecken musste, sich frei in der Stadt bewegen konnte, das war für sie ganz ungewohnt.“

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