Kirchheim
Pro Familia: Es geht um mehr als „schwanger oder nicht?“

Festakt Die Kirchheimer Beratungsstelle von Pro Familia feiert 40-jähriges Bestehen und zeigt ihre vielfältige Arbeit.

Kirchheim. Das Verhältnis zwischen der Beratungsstelle Pro Familia und den Kirchheimern ist ein gutes. „Wir konnten hier immer gut unsere Arbeit tun, Gott sei Dank“, sagt Andrea Reicherzer. Das ist nicht selbstverständlich, andernorts gibt es Mahnwachen oder Protestgebete gegen die Arbeit von Pro Familia. Denn es geht in der Schwangerschaftskonfliktberatung auch um Abtreibung oder in der Sexualitätsberatung um Verhütung.

Auch den Paragraf 218, der den Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich als Straftat behandelt, will Pro Familia abschaffen. Seit zehn Jahren leitet die Sozialpädagogin das Büro in Kirchheim, das jetzt sein 40-jähriges Bestehen gefeiert hat. Außer der Sozialpädagogin gehören der Diplom-Psychologe Joachim Elger, Sozialpädagogin Kathrin Wagner und der Bildungswissenschaftlerin Anna Reinkowski und Verwaltungsfachkraft Christine Fischer zum Team.

Dass der Kirchheimer Oberbürgermeister zur Feier im Alten Gemeindehaus kommt und einen Dank ausspricht, zeigt das gute Verhältnis zur Stadt, ebenso die Anwesenheit einiger Gemeinderäte. Die Teckstadt unterstützt Pro Familia mit jährlich 14500 Euro, vom Landkreis kommen 14000 Euro, den Großteil übernimmt das Land. 

Neue Themen sind dazugekommen

Längst geht es nicht mehr nur um Schwangerschafts- und Konfliktberatung, über die Jahre sind viele Bereiche dazugekommen, etwa die Beratung geflüchteter Frauen, sei es zu Sexualität und Verhütung, Schwangerschaft oder finanziellen Hilfen. „Das Thema nimmt an Brisanz zu“, sagt OB Dr. Pascal Bader angesichts der aktuellen Situation an der belarussischen Grenze oder in Afghanistan. In der praktischen Arbeit fällt Andrea Reicherzer das Beispiel Pille ein: „Viele geflüchtete Frauen denken noch, dass man davon unfruchtbar wird“, sagt die Leiterin, die seit 20 Jahren in dem gemeinnützigen Verein arbeitet.

Jährlich 300 Beratungsfälle betreut die Kirchheimer Pro-Familia-Geschäftsstelle, berät Frauen, Paare, Familien aber auch Menschen auf der Suche nach ihrer sexuellen Identität. „Mehr als Sie denken“, wird deshalb als Motto des Abends über den Köpfen der Festredner auf die Wand projiziert. „Es geht heute verstärkt um Themen wie Wohnungsnot oder fehlende Nachsorge. Viele finden keine Hebamme“, sagt die Erste Vorsitzende. Familienbildung wird zunehmend zum Armutsrisiko, das weiß man inzwischen auch dank der Arbeit von Pro Familia. Aber auch Hilfsangebote bei Themen wie Sexting – das Verschicken von Nacktaufnahmen – , Pornografie oder sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz sind im Laufe der Jahre hinzugekommen.

Der Verein ist auch ein Mittler für Ärzte, die ihre Informationen zur Konfliktberatung oder den Schwangerschaftsabbruch nicht im Internet verbreiten dürfen. „Das ist sehr aufwendig und bedarf geschulter Mitarbeiter“, betont Christel Althaus, Zweite Vorsitzende des Pro-Familia-Landesverbands in ihrer Festrede und fordert damit gleichzeitig die Abschaffung des Paragraphen 219a. Das „Mehr“ in der Arbeit bringt sie prägnant auf den Punkt: „Es geht um die Wertschätzung des Menschen, unabhängig von seiner sexuellen Orientierung, seiner Herkunft oder seiner Zugehörigkeit zu einer gesellschaftlichen Gruppe“, fügt sie hinzu und wünscht Kirchheim weitere erfolgreiche 40 Jahre. Thomas Zapp