Kirchheim

Proteste unterdrückt: „Putin erschafft ein zweites Nordkorea“

Krieg  Wasilij Berkmiller ist Vorsitzender des deutsch-russischen Kulturvereins Mosaika in Kirchheim. Er hofft auf Sanktionen und zunehmenden Druck aus der russischen Bevölkerung, den Krieg zu beenden. Von Thomas Zapp

Diese Aufnahme ist schon ein paar Jahre alt: Wasilij Berkmiller hilft beim Kirchheimer Haft- und Hokafescht mit Vereinsmitglied Olga am Mosaika-Stand. Foto: pr

Für den Kirchheimer Wasilij Berkmiller ist der Krieg in der Ukraine der Angriff eines Despoten, der gegen sein eigenes Volk agiert. „Mindes­tens 50 Prozent der Russen sind gegen den Krieg“, sagt er. Aber wer in Russland öffentlich gegen den Krieg demonstriere, komme sofort in Haft für 30 Tage, sagt der in Kasachstan geborene Deutsche. „Putin erschafft dadurch ein zweites Nordkorea“, spielt Berkmiller auf Putins Vorgehen gegen Oppositionelle und Demonstranten an. Sogar viele russische Soldaten wollten nicht in den Krieg gegen ein Brudervolk ziehen. „Es gab Interviews mit russischen Soldaten, die von Ukrainern wieder freigelassen wurden. Sie haben gesagt, dass sie nicht in den Krieg ziehen wollten.“ Für Berkmiller gibt es einen klare Trennlinie zwischen Präsident Putin und dem russischen Volk.

Der Vereinsvorsitzende kennt Russland sehr gut, hat eine Zeit lang in der Nähe von Moskau gelebt und sogar in der Sowjetarmee gedient.
 

„In Russland haben 70 Prozent der
Leute noch ein
Plumpsklo.
Wasilij Berkmiller
über die Lebensverhältnisse der ­Russen in ländlichen Gebieten  
 

In Kirchheim ist er Vorsitzender des deutsch-russischen Vereins Mosaika, seine Frau Tatjana Bekker leitet den Chor. „Bunt nach Nationalitäten gemischt, das sind alles super Leute“, sagt er. Die Aktivitäten lägen aber seit der Corona-Pandemie auf Eis.   

Mit der Ukraine hat seine Familie eine enge Verbindung: Er hat dort nicht nur Freunde, auch seine Eltern stammen aus dem südukrainischen Nikopol, wurden aber zu Sowjetzeiten nach Kasachstan verschleppt. „Die Ukrainer wurden im Stich gelassen“, sagt er. Putins Absichten seien lange bekannt. „Er will Staaten wie Weißrussland und die Ukrainer unter seinem Einfluss haben, er hat Heimweh nach der Sowjetunion“, glaubt Berkmiller. Der russische Präsident könne sich nicht vorstellen, dass die Ukrainer sich wirklich nach Wes­ten orientieren wollen. Putins Argument, dass russischstämmige Menschen in ehemals russischen Ländern verfolgt werden, lässt er nicht gelten. „In den drei baltischen Staaten sind 80 Prozent russischstämmig. Die gehen aber nicht zurück“, sagt er. Denn die Menschen wollten ein gutes Leben. Das ist gerade in ländlichen russischen Gegenden schwierig. „In Russland haben 70 Prozent der Leute noch ein Plumpsklo.“ 

Tragisch findet er, dass Putin eigentlich lange Deutschland und Frankreich auf seiner Seite gehabt hat: „Er hat es nicht genutzt.“ Nun ist der Krieg ausgebrochen und der Westen habe zu spät reagiert mit den Waffenlieferungen. „Ich war sehr wütend auf die deutsche Regierung“, sagt er. Dass Putin eine nukleare Katastrophe herbeiführen könnte, glaubt der 58-Jährige nicht. „Ich glaube, er blufft. Er hat ja selbst Töchter und Enkelkinder. Ich kenne diese Mentalität gut.“ Wenn die Ukraine in der Nato wäre, hätte es auch keine Invasion gegeben, ist er überzeugt. Er sieht in einer Mitgliedschaft keine Provokation des gro­ßen Nachbarn. „Warum darf sich ein freies Land nicht sein Bündnis aussuchen?“

Hoffnung auf internen Druck

Mit militärischem Druck könne man diesem Riesenland nicht beikommen. „Der größte Druck für Putin kommt von innen“, glaubt Wasilij Berkmiller. Die Wirtschaftssanktionen tun ein Übriges. „Die Staatsbank hat den Leitzins von 9 auf 20 Prozent angehoben. Die Leute haben Angst und 1,7 Milliarden Rubel von ihren Konten abgehoben.“ Ob das reicht, um den Krieg zu beenden, weiß auch er nicht. Die Hoffnung des Kirchheimers: dass der Rückhalt in der russischen Bevölkerung schwindet. „Die meisten haben doch Verwandte in der Ukraine. Der Aufschrei in Russland wird immer lauter.“

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