Kirchheim

Quereinsteiger aus dem Harz ist glücklich am Albtrauf gelandet

Stadtarchivar Frank Bauer leitet als Nachfolger von Dr. Joachim Brüser seit Anfang Oktober die Abteilung Kultur in Kirchheim. Von Andreas Volz

Von alten Handschriften bis hin zu digitaler Archivierung reicht das Arbeitsspektrum Frank Bauers in Kirchheim.Foto: Andreas Vol
Von alten Handschriften bis hin zu digitaler Archivierung reicht das Arbeitsspektrum Frank Bauers in Kirchheim.Foto: Andreas Volz

Frank Bauer ist Kirchheims neuer Stadtarchivar. Knapp 40 Tage Einarbeitungszeit liegen bereits hinter ihm. Zu Kirchheim hatte er bislang keinen Bezug. Aber es dürfte ihm trotzdem nicht schwer fallen, die hiesige Geschichte in kürzester Zeit kennenzulernen. Schließlich ist er es gewohnt, sich neue Felder zu erschließen: Geboren 1986 in Halberstadt, zog es ihn 2005 in die Ferne, zunächst nach Australien.

Von dort aus wollte er seinem Fernweh künftig auch innerdeutsch nachgehen: 2006 hat er deshalb sein Studium der Geschichte und der Kunstgeschichte in Tübingen aufgenommen und somit die alte Heimat in Sachsen-Anhalt mit der neuen Heimat in Baden-Württemberg getauscht. Kirchheim ist ihm aber gar nicht so fremd: Die Fachwerkstadt am Fuß der Alb erinnert ihn stark an die Fachwerkstädte im Harz.

Was ist Heimat, was ist Fremde?

Mit Heimat, Ferne und unterschiedlichen Identifikationen hat er sich auch in seiner Doktorarbeit auseinandergesetzt, die noch dieses Jahr im Druck erscheinen soll. Es geht um deutschsprachige Minderheiten in Ungarn im 19. Jahrhundert und um deren Identitäten in ihren Sprachgemeinschaften. So wie sich diese Minderheiten in der Fremde auf die Suche nach Heimat begeben haben, stellt Frank Bauer grundsätzlich fest, dass es beides nur in der Gegenüberstellung geben kann: „Heimat funktioniert nicht ohne Fremde.“

Selbst in Baden-Württemberg werden die Begriffe „Heimat“ und „Fremde“ höchst unterschiedlich gewertet. Von Tübingen aus ist Frank Bauers nächste Station deshalb auch schon eher als „Fremde“ zu betrachten: „2016 habe ich angefangen, in Karlsruhe zu arbeiten, im Generallandesarchiv.“ Dort hat er verschiedene Projekte mitbetreut, unter anderem ein Digitalisierungsprojekt sowie ein Projekt über die Revolution von 1918/19 mit dem bezeichnenden Titel „Von der Monarchie zur Republik“. Außerdem war er an der Erschließung von Nachlässen badischer Politiker beteiligt - was wesentlich spannender ist, als es zunächst vielleicht klingen mag.

In entwaffnender Offenheit sagt Frank Bauer über seinen Posten als Stadtarchivar und Leiter der Abteilung Kultur in Kirchheim: „Ich habe keine Ausbildung als Archivar, bin also ein Quereinsteiger.“ Er verweist aber auf vielfältige Erfahrungen in Archiven im In- und Ausland, die er in diversen Praktika gesammelt hat - unter anderem in Bonn und in Hermannstadt.

Letzteres hat mit seiner Promotion zu tun, denn Hermannstadt - eines der wichtigsten Zentren der Siebenbürger Sachsen - gehörte von 1867 bis 1918 zu Ungarn und kam erst danach zu Rumänien. Das allein zeigt schon die Schwierigkeiten mit den Identitäten auf, wobei Frank Bauer erwähnt: „Trotz der deutschen Sprache haben sich die Leute dort nie als Deutsche gefühlt.“ Genau gilt es nämlich zu unterscheiden zwischen Volk, Sprache, Wohnort, Nationalstaat oder auch Staatsangehörigkeit - was zu ganz unterschiedlichen ­Loyalitäten führen kann.

Zurück zur Identität als Historiker ohne fachspezifische Ausbildung fürs Archivwesen. Frank Bauer betont: „Trotzdem werde ich hier vor Ort viel beitragen können.“ Das erste Projekt betrifft das Mahnmal für zivile Opfer des Nationalsozialismus, das in wenigen Tagen auf dem Alten Friedhof „eingeweiht“ werden soll.

Weitere Projekte haben mit den Umwälzungen nach dem Ersten Weltkrieg zu tun: 2018/19 will Frank Bauer revolutionären Spuren in Kirchheim nachgehen und womöglich einen „kleinen Weg der Demokratie“ anlegen - eben auf dem Weg von der Monarchie zur Republik. Dazu gehört auch die Beteiligung der Stadt an den Frauentagen 2019, die sich auf Initiative von Dr. Silvia Oberhauser mit dem Frauenwahlrecht befassen.

2019 ist auch das Jahr, in dem die Schriftenreihe des Stadtarchivs mit der Ortsgeschichte Jesingens fortgesetzt wird. Ein weiteres Projekt ist mit dem Sachgebiet Registratur verknüpft: die Archivierung digitaler Daten. Diese sind zu retten, bevor sie automatisch nach Ablauf der Aufbewahrungsfristen gelöscht werden. „Die Digitalisierung ist die Zukunftsmusik“, sagt der Historiker Frank Bauer.