Kirchheim

Das muss Liebe sein!

Samstagfrüh. Der Wecker schrillt. Raus aus den Federn, rein in die Klamotten. Einmal durchs schlafende Kirchheim: S-Bahn um 5.51 Uhr. Eine Dreiviertelstunde später wieder raus. Im Laufschritt durch die S21-Baustelle. Kurz vor 7 weiter nach Berlin. Fünfeinhalb Stunden quer durch die Republik. Berlin Südkreuz. Jetzt noch U-Bahn. Die letzten Meter zu Fuß. Geschafft! Einen Tag später das Ganze retour. Ankunft 0.08 Uhr in Kirchheim. Noch mal per pedes quer durch die Stadt. Schicht im Schacht. 

- Den Kollegen wird‘s schwummrig, wenn die junge Mitarbeiterin von ihrem Wochenende erzählt. Klar, was dahinter steckt, ein Mann! Der Grund für eine solche freiwillige Odyssee kann nur Liebe sein.

Aufwand und Nutzen wägt die sonst so rationale Kollegin gar nicht ab und nimmt mit geradezu masochistischer Ader Verhasstes in Kauf, Stichwort frühes Aufstehen oder Gedränge. Zusätzliche Zeit lässt sich nirgends rausschlagen: Das Billig-Bahnticket vom Discounter verbietet die Fahrt am Freitag. Zu allem hat der Mann der Träume auch noch Wochenenddienst. Gemeinsam den Tag verbummeln? Fehlanzeige! Pi mal Daumen bleiben gut 16 Stunden Reise für ein paar Stunden Zweisamkeit. Und das keineswegs nur einmal!

„Was für ein Wahnsinn!“, sind sich die ergrauten Kollegen einig, die jahrzehntelang verheirateten und auch die geschiedenen. Doch die 22-Jährige lässt sich nicht beirren, verströmt ansteckende Begeisterung, sowohl am Freitag zuvor wie übrigens auch noch am Montag danach. Das lässt die Garde der Alten nach einem Wochenende zwischen Käsekuchen, Wertstoffhof und Besuch im Pflegeheim dann doch nicht kalt. Wehmut mischt sich unters Kopfschütteln. Könnte sich ja doch lohnen, zumal, wer weiß, wenn‘s denn der Mann fürs Leben ist? Irene Strifler