Kirchheim
Renata Alt zur Wahl in der Türkei: „Der Wahlkampf war extrem unfair“

Mission   Die Kirchheimer FDP-Bundestagsabgeordnete war als Wahlbeobachterin in Istanbul unterwegs. Sie macht sich große Sorgen um die Demokratie in der Türkei.

Kirchheim. Unterschiedlich waren die Reaktionen auf Renata Alts Auftreten in Istanbul: Die Kirchheimer FDP-Bundestagsabgeordnete war als Mitglied der Parlamentarischen Versammlung der OSZE als Wahlbeobachterin unterwegs. „Viele waren regelrecht begeistert, wenn ich gesagt habe, dass ich die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im Bundestag bin. Schon vor zwei Wochen, als ich den ersten Wahlgang in Izmir beobachtet habe, hieß es, ich soll unbedingt wiederkommen. Wer sich um die Menschenrechte kümmert, werde dringend benö­tigt.“

Aber nicht alle waren begeistert, wenn Renata Alt gemeinsam mit einem Bundestagskollegen in den Wahllokalen auftauchte: „Da waren immer auch AKP-Vertreter vor Ort, obwohl sie dort eigentlich nichts zu suchen haben.“

Den Funktionären von Erdogans Partei sei es in den Wahllokalen darum gegangen, die Leute einzuschüchtern, berichtet Renata Alt: „Die hatten immer auch Anwälte dabei, und die wollten immer, dass wir den Raum verlassen.“ Allerdings betont die Kirchheimerin auch: „Wir waren auf Einladung der türkischen Regierung vor Ort, als internationale Wahlbeobachter. Wenn wir die offizielle Bescheinigung vorgelegt haben, konnten wir bleiben.“

Beim Beobachten der Wahl geht es nicht darum, sich einzumischen. „Wir haben nur beobachtet, was im Raum geschieht: Sind die Urnen verplombt, gibt es genügend Stimmzettel und Kuverts, haben alle Menschen Zugang zum Wahllokal, wird jemand daran gehindert, den Raum zu betreten, wie wird ausgezählt?“

Insgesamt zehn Wahllokale in Istanbul hat Renata Alt am entscheidenden Wahltag besucht: „Wir sind an diesem Tag 175 Kilometer in Istanbul gefahren und elf Kilometer zu Fuß gegangen.“

Ihr Fazit: „Man kann nicht sagen, dass es irgendwelche Behinderungen gab.“ Aber: „Der Wahlkampf war extrem unfair.“ Erdogans Gegenkandidat habe maximal 20 Prozent der Präsenz in den Medien gehabt, und auch dabei konnte er sich nicht immer positiv darstellen: „Die Medien sind komplett unter Kontrolle der Regierung.“ Vor dem zweiten Wahlgang seien reihenweise Journalisten ohne Begründung verhaftet worden.

Ein anderes Problem: „Die Regierung hat unsere Beobachtungen nach dem ersten Wahlgang nicht so schnell wie möglich veröffent­licht.“ Auch das ein klarer Verstoß gegen die internationalen Standards. Renata Alt stellt klar, dass auch türkische Parlamentarier in Deutschland als Wahlbeobachter fungieren können: „Bei uns läuft nicht immer alles so, wie es laufen sollte. Man muss da nur an die Pannen in Berlin denken.“

Um die Entwicklung in der Türkei macht sich Renata Alt große Sorgen: „Wir müssen aufpassen, dass der autokratische Staat nicht in Richtung Diktatur abrutscht.“ Nachdem die Wiederwahl Erdogans feststand, hätten viele junge Leute zu ihr gesagt, dass sie die Türkei schon bald verlassen wollen. 
Andreas Volz