Eigentlich ist Katrin R. aus Kirchheim keine Mutter, „die immer gleich zum Arzt rennt“. Deshalb denkt sie zunächst an einen normalen Infekt, als bei ihrem Kindergartenkind die Nase zu laufen beginnt, und wenig später auch beim Baby. Der Husten, der sich
dazugesellt, sei schon etwas stärker gewesen als gewöhnlich, sagt R., aber noch im Rahmen des Erträglichen. Dem „Großen“ geht es längst wieder besser, als Katrin R. doch beim Kinderarzt anruft und einen Termin vereinbart, weil es ihrem drei Monate alten Sohn nicht gut geht. „Ich dachte noch, sie sagt mir bestimmt, dass ich einfach Geduld haben muss“. Stattdessen überweist die Kinderärztin Katrin R. und ihren Sohn ins Krankenhaus, weil die Sauerstoffsättigung nicht gut ist. Das Baby hat sich mit dem RS-Virus infiziert.
Während das Corona-Virus in diesem Herbst das Gesundheitssystem für Erwachsene an den Rand des Zusammenbruchs bringt, ist es bei Kindern das RS-Virus, kurz für Respiratorisches Synzytial-Virus, das Kinderärztinnen und -ärzten Sorgenfalten auf die Stirn treibt. Das Virus ist gerade für Säuglinge und Kleinkinder immens gefährlich, weil es schwere Lungenentzündungen auslösen kann. „Wir haben seit circa fünf Wochen ausgesprochen viele, zum Teil schwerstbetroffene Säuglinge“, sagt Susanne Luxenhofer, Kinderärztin in einer Gemeinschaftspraxis in Wernau. „Ich habe in 25 Jahren Kinderarztpraxis noch nie eine so ausgeprägte RS-V-Saison erlebt“.
Säuglinge besonders gefährdet
Auch die Kinderklinik des Klinikums Esslingen ist seit Wochen voll mit kleinen Patienten, die am RS-Virus erkrankt sind. Der Peak sei in diesem Jahr viel früher erreicht worden, und es seien deutlich mehr Patienten als sonst, sagt der Leitende Oberarzt Dr. Olaf Raecke. Für die Station sei die Belastung enorm gewesen, sagt der Mediziner, der besonders vor den Pflegenden den Hut ziehen will. Besonders kritisch sei die Virusinfektion bei Säuglingen unter sechs Monaten, ganz kleine Babys bräuchten häufig eine Atemunterstützung und viel Überwachung, weil es zu Atemaussetzern kommen könne. Auch erkrankten in diesem Jahr mehr Kleinkinder schwer als in den Jahren zuvor. Die „natürliche Boosterung“, wie er es nennt, also das Durchmachen von Infekten, habe letzten Winter einfach gefehlt.
Auch bei Katrin R.’s Sohn muss alles schnell gehen. Vom Kinderarzt geht es mit Rettungswagen und Blaulicht direkt in die Klinik. Die Kinderklinik in Esslingen sei bereits voll gewesen, Göppingen eigentlich auch, sagt sie. Dort werden Mutter und Sohn trotzdem aufgenommen. Fünf Nächte werden die beiden in der Kinderklinik verbringen, bis die Sauerstoffsättigung wieder gut genug ist. Zeitweise sei es ihrem Sohn sehr schlecht gegangen, sagt die Kirchheimerin. „Er hatte gar keine Stimme mehr. Ich habe mich richtig gefreut, als er endlich wieder brüllen konnte“. Fieber hat das Baby während der Infektion keines, das ist Katrin R. wichtig, zu betonen. „Oft heißt es ja, dass Fieber ein Alarmsignal sei“. Nach der Entlassung ist der Infekt immer noch nicht überstanden gewesen. „Wir haben insgesamt sicher zwei Wochen damit zu tun gehabt“.
Kein Bett mehr frei
Dass die Kinderklinik im Klinikum Esslingen teilweise nicht mehr aufnahmefähig war, ebenso wie die Häuser im Umland, kann Olaf Raecke bestätigen. „Da sind auch mal Kinder nach Pforzheim transportiert worden“, sagt er bedauernd. Aktuell gingen die Zahlen etwas zurück. „Seit zwei Stunden haben wir das erste Mal seit Wochen, dass die Station nicht zur Hälfte gefüllt ist mit RS-Virusinfektionen“, sagt er. Auch in den umliegenden Kliniken entspanne sich die Lage ein wenig. Aber das könne sich natürlich jederzeit wieder ändern. Eine mögliche Infuenza-Welle, die die Stationen zusätzlich belasten könnte, macht Raecke und seinen Kollegen Sorgen. „Wir haben aber die Hoffnung, dass sich durch die Kontaktbeschränkungen die wenigen Fälle, die es gibt, nicht weiter ausbreiten“. Covid ist in der Kinderklinik hingegen weniger ein Thema. „Im Vergleich zu Corona ist das RS-Virus für Kinder gefährlicher.“