Kirchheim

Sahnehäubchen gleich zum Auftakt

Sommerserenade der Stadtkapelle reißt das Publikum im Schlosshof von den Sitzen

Sommerserenade der Stadtkapelle Kirchheim im Schloßhof
Sommerserenade der Stadtkapelle Kirchheim im Schloßhof

Kirchheim. Jugendkapelle, Stadtkapelle. Das war am sonnigen Sonntag bei der Kirchheimer Schlosshofserenade die bewährte Reihenfolge.

Ernst Leuze

Auch musikalische Leckerbissen ordnen wir gerne nach Vorspeise, Hauptgericht und Dessert. Diese Welt war zu Beginn der Sommerserenade auch noch in Ordnung. Die jungen Musiker mussten sich erst mal orientieren in der Akustik des Schlosshofes. Marc Lange musste seine ganzen suggestiven Dirigierkräfte aufbieten, um bei der versprochenen ausdrucksstarken Blechfanfare mit Schmiss auszugleichen, was an Intonation noch nicht auf Anhieb gelingen wollte. Ein Einspielstück eben!

Doch ehe man sich’s versah, stand die gewohnte Konzertroutine völlig auf dem Kopf. Die jungen Spieler hielten sich nicht lange bei der Vorspeise auf, sondern spielten sich ungeniert ins Dessert hinein. Völlig respektlos servierten sie im ersten Stück schon das Sahnehäubchen und blieben auch dabei, ob Arizona, Csardas, Star Wars oder Soul Bossanova.

Da hatte Marc Lange eine Elitetruppe vor sich, der er musikalisch alles abverlangen konnte. Ob als „Schlangenmensch“ bei der Zugabe, als Filmheld bei Star Wars, als feuriger Ungar oder kriegerisch-trauriger Grand-Canyon-Indianer. Die Jugendkapelle spielte heiter, gepfeffert, lyrisch, zart und, was sehr selten vorkommt, nie zu laut, immer bestens koordiniert, einfach sensationell gut! Selbst als Lea Susgin, Klarinette, und das Nachwuchstalent Katharina Sommer, Marimbafon, wie zwei verwegene Haudegen ihre brillanten Soli in die verdutzte Menge schleuderten, begleitete das Orchester auf gleichem Niveau. Übrigens stammt das Arrangement von Marc Lange selbst, der die glänzende Idee hatte, die ursprüngliche, als Violinsolo komponierte Konzertstimme, auf Vibrafon und Klarinette aufzuteilen.

Das war alles so überragend, dass, um im Bild zu bleiben, der Stadtkapelle alle Leckerbissen vom Teller stibitzt schienen. Wohl deshalb traten die erwachsenen Musiker nach der Pause die Flucht nach vorne an und ließen mit dem italienischen Geschwindmarsch über das Evergreen Funiculi – Funiculà den Rhytmus in die Glieder fahren, dass man fast meinen konnte, es wäre die Jugendkapelle, die diesmal die Stadtkapelle inspiriert hätte und nicht umgekehrt. Zumindest konnte man heraushören – „Wir haben verstanden, auch wir beginnen heute mit dem Besten“.

Uns Zuhörern war’s schon recht so, und wir folgten auch willig den gut gelaunten überleitenden Worten des Dirigenten, der es wagte, ohne Mikrofon zu sprechen – Bravo! Seine Mischung aus musikalischen Informationen und vergnüglicher Situationsfreude waren dem Charakter einer Sommerserenade richtig gut angemessen. Zwar war fast alles auch im Programm nachzulesen, aber das improvisierte zusätzliche „Etwas“ inspirierte spürbar Hörer und Musiker. Immer wieder gab es herausragende Einzelleistungen: bei „Camino Real“ Lehrerin und Schülerin am Schlagwerk (Vanessa Wünsch und Katharina Sommer). Und besonders bei Porgy and Bess, wo gleich fünf Solisten aus dem Orchester begeisternd hervortraten. Allen voran Hubert Rauschnabel, Posaune, dann nicht weniger engagiert Susanne Klaiß, Horn, Hans-Otto Zottel, Eufonium, Ulrike Seidler, Fagott und Michael Attinger, Saxofon.

Das Saxofon als Soloinstrument, geblasen von Tobias Moritz, stand auch im Mittelpunkt des letzten Stücks der Stadtkapelle: „Saxpack“. Der Solist blies sich lustvoll durch die vielen Klangfarben seiner beiden Instrumente (Alt- und Sopransaxofon). Leider wurde er oft übertönt. Ob das an der Akustik der Schlosshofes lag, an der aufziehenden Kühle, an der Komposition selbst, oder an den begleitenden Musikern, war nicht sicher auszumachen.

Doch nun traten die Jugendkapellisten hinzu für ein furioses Finale, das durch die Masse der Musiker keineswegs vergröbert wurde. Im Gegenteil! Das riesige Ensemble klang wie nach einer Schlankheitskur, wie frisch ausgeruht. Dazu noch die Glanzlichter der parallelen Flötenquinten, der juchzenden Solo-Klarinette von Christian Rehberg und das vor Vitalität strotzende Schlagzeugsolo von Julia Lorenz. Die Hörer riss es von den Sitzen.

Nach diesem musikalischen Hexenkessel bedurfte es einer Beruhigung. Marc Lange nützte die Situation und bedankte sich bei den vielen, deren Mitarbeit diesen unvergesslichen Abend erst ermöglicht hatte, darunter bei seinem Vorgänger Stadtmusikdirektor Harry D. Bath, der für eine wichtige Probe eingesprungen war.

Als es mit der schottischen Melodie „Nehmt Abschied Brüder“ dann richtig feierlich wurde, stimmte sogar das Rathaus-Glöckle begeistert mit ein. Beim Internationalen Blasmusikwettbewerb in Riva del Garda hat die Stadtkapelle ja den zweiten Preis in der höchsten Leistungsstufe erhalten. Doch gestern die Jugendkapelle: erster Preis mit Auszeichnung!

Der Kirchheimer Schlosshof wurde am Sonntag zum musikalischen Hexenkessel.Fotos: Markus Brändli
Der Kirchheimer Schlosshof wurde am Sonntag zum musikalischen Hexenkessel.Fotos: Markus Brändli